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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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so bestialische Weise töten? Warum nur? Tränen schossen ihm in die Augen. Warum denn nur?
    Er war kein guter Mensch, einverstanden. Und wenn es dieser Verrückte da oben denn unbedingt wollte, würde er auch bereuen.
    Er hatte den Irren nicht erkannt, der ihm aufgelauert und ihn betäubt hatte. Ob es doch er war? Er würde ihn fragen. Jetzt. Doch der Knebel in seinem Mund würgte ihn. »Hmm! Hmm!« war das Einzige, was er hervorbrachte.
    Das Babyfon schwieg.
    Die Luft in dem engen Gefängnis war stickig. Wie lange würde der Sauerstoff reichen? Er korrigierte sich selbst. Das Problem war nicht der Sauerstoff. Es war das vom Körper selbst produzierte Kohlendioxid. Das Gas war zwar an sich nicht giftig, das wusste er. Aber irgendwann wäre in dem Sarg einfach zu viel davon. Er brachte sich gewissermaßen selbst um, weil sein Stoffwechsel aus dem Sauerstoff Kohlendioxid machte. Er würde ersticken. Langsam, quälend, aber sicher.
    Der Sarg hatte etwa einen Kubikmeter Volumen. Vielleicht etwas mehr. Die tödliche Konzentration an Kohlendioxid wäre in zwei Stunden erreicht, schätzte er. Spätestens in einer Stunde würde er das Bewusstsein verlieren. Sobald er einschliefe, wäre es vorbei. Er wurde jetzt schon müde. Nein, nicht einschlafen! Er hielt sich krampfhaft wach. Vielleicht würde man ihn noch rechtzeitig finden. Vielleicht.
    Bitte, bitte, lass es geschehen, dass man mich findet, dachte er in Panik. Lieber Gott, bitte! Ja, ich habe schon Jahrzehnte nicht mit dir gesprochen. Jetzt flehe ich dich an. Lass mich hier nicht so verrecken. Nicht so jämmerlich ersticken in einem von innen beleuchteten Sarg. Bitte, bitte, bitte!
    Die Luft wurde immer schlechter. Es stank. Er roch seinen eigenen Schweiß. Er roch seinen Urin. Er roch seine Fäkalien. Er hatte sich vor Angst in die Hosen gemacht. Er schämte sich. Ja, auch im Angesicht des baldigen Sterbens, vielmehr des Verreckens war es ihm peinlich, dass er gepinkelt und seinen Schließmuskel nicht mehr unter Kontrolle hatte.
    Der Mann über im schien mit der Arbeit fertig zu sein. Die immer noch glänzende Datejust zeigte drei Uhr vierzehn. Das Babyfon knarrte wieder.
    »Du hattest Gelegenheit, zu bereuen. Nach meinen Berechnungen müssten in den nächsten dreißig Minuten die ersten Bewusstseinsstörungen auftreten. Bereue, du Abschaum! Bereue, solange du es noch kannst! Bereue! Bereue!«
    Dann war wieder Stille.
    Das Babyfon gab kein Geräusch mehr von sich. Trotz Knebel versuchte er verzweifelt zu flehen, jammern und betteln. Vergebens. Niemand hörte ihn. Um drei Uhr neunundvierzig wurde ihm endgültig schwarz vor Augen. Er sah sich durch einen langen Tunnel gehen. Er ging immer schneller, denn am Ende des Tunnels sah er ein helles, gleißendes Licht. Stimmen riefen ihn. Er folgte dem Licht. Da wollte er hin. Zu den Stimmen, die ihn lockten. Immer dem Licht nach.
    Um drei Uhr vierundfünfzig war er erstickt.
    Sein Mörder war sich sicher, dass man die Leiche nie finden würde. Und selbst wenn. Ihn würde man nie fassen.

1
     
    Wolfgang Franke verfluchte den Tag, an dem er entschieden hatte, sein geliebtes München zu verlassen. Den Tag, an dem er seine kleine Familie dazu überredet hatte, mit ihm in den hohen Norden zu ziehen. Er verachtete sich dafür, die Warnungen seiner Frau und die Tränen seiner Tochter ignoriert zu haben.
    Aber es war alles so vielversprechend und verführerisch gewesen. 1992 hatte die Kriminalpolizeiinspektion Rostock Beamte gesucht. Beamte mit Erfahrung. Beamte, die anpacken konnten. Eben einen wie ihn. Trotz bester Zeugnisse und ausgezeichneter Leistungen im Dienst hatte er sich in München beruflich auf der Stelle bewegt, denn zu viele waren vor ihm dran. Das formale Beamtenrecht, das bei Beförderungen mehr auf die Anzahl der Dienstjahre achtete als auf die Qualifikation und die Leistung, stand seiner Beförderung im Wege.
    Hier aber hatte er Hauptkommissar werden können. Leiter der Mordkommission. Hier hatten sie sich, ohne wie in München finanzielles Harakiri zu begehen, den Traum vom eigenen Haus im Grünen verwirklichen können. Hier war die Mark das Doppelte wert gewesen.
    Ja, es war die Verführung, der er erlegen war und der er das Glück seiner kleinen Familie untergeordnet hatte. Und jetzt?
    Nachdenklich und verzweifelt blickte Wolfgang Franke aus dem Fenster seines Büros in der Blücherstraße mitten in Rostock. Der helle, mit dem üblichen zweckmäßigen Mobiliar eingerichtete Raum, den er sich mit seiner jüngeren

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