Kalte Freundschaft
eine neue Folge vorgesetzt bekommt.
In letzter Zeit ist sie jedoch ungewöhnlich still.
»Hast du was?«, fragt Nadine. »Du sagst so wenig.«
»Es gibt nichts zu erzählen.« Marielle stochert mit der Gabel auf dem Teller herum und nimmt dann einen kleinen Bissen. »Wem hast du vorhin gemailt?«
Nadine hat den Eindruck, ihre Tochter wolle das Thema wechseln. Sie geht darauf ein und sagt, Froukje interessiere sich für den Fortschritt ihres Buchs.
»Es ist fast fertig. Ich hoffe, dass es diesmal was wird. Stell dir vor, Marielle, mein Buch im Laden! Das wäre doch toll!« Nadine sieht verträumt vor sich hin.
»Bestimmt klappt es irgendwann. Und wenn nicht, kannst du es ja im Selbstverlag herausbringen.«
»Lieber wäre mir, es fände sich ein richtiger Verlag. Alles andere ist nur eine Notlösung.«
»Ich kenne eine Frau, die hat ein Diätbuch geschrieben und sieht das ganz anders.«
Nadine lacht. »Sie hat es bestimmt auch erst auf dem üblichen Weg versucht. Im Selbstverlag veröffentlichen kann ich immer noch.«
»Gehst du heute Abend noch weg?«
Nadine nickt. Freitags geht sie immer aus, das lässt sie sich nicht nehmen, auch wenn sie sich heute Abend viel lieber ihrem Buch widmen würde. Die Überarbeitung ist fast fertig, bis auf die letzten zwei, drei Kapitel, die ihr ständig im Kopf herumspuken. Aber sie weiß aus Erfahrung, dass es keinen Sinn hat, am Ende einer langen, anstrengenden Arbeitswoche noch konzentriert schreiben zu wollen. Besser, sie entspannt sich …
Kurz nach acht fährt sie die Hooigracht entlang und biegt in das Sträßchen ein, in dem sich »De Bonte Koe« befindet, eine gemütliche Kneipe, neuerdings mit einem Wintergarten, der weit in die Gasse hineinragt.
Laut Frans, dem Wirt, gibt es sie seit hundertdreißig Jahren und sollte ursprünglich eine Metzgerei werden. Daran erinnern die Wandfliesen mit Abbildungen von Kühen, die der Kneipe zu ihrem Namen verholfen haben.
Nadines Schreibfreunde sitzen schon vollzählig am gewohnten Tisch im hinteren Bereich des Lokals.
Als sie kommt, ist die Unterhaltung bereits in vollem Gang; es geht um die Absage, die Tom von einem Verlag bekommen hat.
»Die ahnen nicht, was ihnen entgeht«, sagt Matthijs. »Wart’s nur ab: Bald findest du einen Verlag, und dein Buch wird ein Bestseller. Dann beißen die anderen sich in den Hintern! Man hört doch immer wieder, dass die besten Autoren mit ihrem ersten Buch regelrecht hausieren gehen mussten.«
»Bei wie vielen Verlagen hast du das Manuskript sonst noch eingereicht?«, erkundigt sich Joella. »Bei zweien? Na, dann wirst du von denen auch bald hören. Es muss nur bei einem klappen!«
»Stimmt«, sagt Tom. »Aber reden wir nicht mehr von mir. Wie geht es euch so? Ist dein Buch fertig, Nadine?«
Nadine sagt, sie wolle am Wochenende die letzten paar Kapitel überarbeiten. »Danach schicke ich es los. Ich bin ja so gespannt!«
Sie haben sich im Schreibkurs kennengelernt und als »harter Kern« Kontakt gehalten. Jeden Freitagabend treffen sie sich in »De Bonte Koe«, die sie zu ihrer Schriftstellerkneipe erkoren haben, auch wenn niemand von ihnen je etwas publiziert hat. Nur Joella hat bisher einige Kurzgeschichten in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht, und Matthijs hat ein Buch im Selbstverlag herausgegeben. Trotzdem sind sie sich alle einig, dass es nicht das Gleiche ist wie eine Publikation bei einem richtigen Verlag. Und genau das streben alle an. Enttäuschungen kalkulieren sie
zwar mit ein und reden offen über ihre Ambitionen, weil ihnen schließlich klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht alles im Leben bedeutet. Doch insgeheim träumt jeder vom großen Durchbruch als Schriftsteller.
Nadine blickt in die Runde und überlegt, wem es wohl gelingen wird, diesen Traum wahr zu machen.
Matthijs ist vierunddreißig und Grundschullehrer. Er schreibt nette Kindergeschichten und hofft nach wie vor, dass sich bald ein Verlag dafür findet.
Leoni ist mit ihren einundzwanzig Jahren die Jüngste der Gruppe. Talentiert und ehrgeizig. Mit siebzehn ist sie an Lymphkrebs erkrankt und schreibt nun einen Roman darüber.
Joella ist die Einzige, bei der Nadine ziemlich sicher ist, dass sie irgendwann Erfolg haben wird. Ihre Prosa ist schon fast poetisch, jeder Satz eine Perle und das Ganze auf einem Niveau, bei dem man glatt neidisch werden könnte. Wenn sie im Kurs aus ihren Texten vorlas, klatschten alle Beifall, und seitdem lässt jeder Joella seine Arbeiten lesen, bevor er sie
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