Kalte Freundschaft
einreicht.
Von den Männern ist Nadine am besten mit Tom Segers befreundet. Er ist genauso alt wie sie, sechsunddreißig, und gibt Sprachkurse an der Volkshochschule. Mit seiner witzigen Art brachte er die anderen Kursteilnehmer immer wieder zum Lachen, und von ihm kam auch der Vorschlag, hinterher noch etwas trinken zu gehen. Toms Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass sie sich nach wie vor jede Woche in »De Bonte Koe« treffen.
Samstags geht Nadine manchmal mit ihm in die Stadt. Ihr erster Weg führt stets in die Buchhandlung, wo sie an den Tischen mit aufgestapelten Bestsellern vorbeigehen und die Hand über die Umschläge gleiten lassen.
»In letzter Zeit komme ich kaum zum Schreiben, ich habe einfach zu viel zu tun.« Matthijs gibt dem Mann an der Theke ein Zeichen für eine neue Runde, und dieser nickt.
»Ich hab noch mal von vorn angefangen«, meint Leoni.
»Von vorn angefangen? Wieso denn das? Du warst doch fast fertig, oder?« Erstaunt sieht Nadine sie an.
»Weil ich über das nachgedacht habe, was Froukje im Kurs gesagt hat. Du weißt schon: dass mein Buch eher ein Privatdokument sei als ein Roman. Es fällt mir verdammt schwer, so viele Passagen zu streichen, an denen ich mit Herzblut gearbeitet habe. Zumal gerade die mir sehr geholfen haben, mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.«
Leoni erntet anerkennende Blicke. Ihre Krankheit hat sie zwar überwunden, aber emotional hat sie mit dieser Lebensphase noch lange nicht abgeschlossen.
»Respekt, Leoni!«, sagt Joella. »Das ist alles andere als einfach, wenn man eigentlich schon fertig ist.«
»Du sagst es.« Leoni nippt an ihrem Weißwein. »Aber mir ist auch klar geworden, dass man nicht so ohne Weiteres Schriftsteller wird. Erst neulich habe ich gelesen, dass allein in den Niederlanden gut eine
Million Leute schreiben und hoffen, ihre Texte irgendwann zu veröffentlichen. Stellt euch vor: eine Million! Und nicht mal ein Prozent der eingereichten Manuskripte wird angenommen.«
»Bei dir klappt es bestimmt!« Joella hebt ihr Glas, und Leoni prostet ihr zu.
Mit einem großen runden Tablett schlängelt sich der Kellner an Tischen und Stühlen vorbei und stellt es unter spontanem Applaus ab. Matthijs übernimmt es, die Getränke zu verteilen. Er weiß nicht nur genau, was sie trinken, sondern so ziemlich alles über jeden in ihrer Runde: Titel und Inhalt von Geschichten, die sie geschrieben haben, Telefon- und Hausnummern sowie jede Menge persönliche Dinge, die sie irgendwann beiläufig erwähnt haben - sein Gedächtnis ist phänomenal.
Während Matthijs mit den Getränken zugange ist, wandert sein Blick zur Tür.
»Da kommt Froukje«, sagt er.
Froukje Smit, eine zierliche Frau mit kurz geschnittenem rotem Haar, steuert, gefolgt von einem großen, dunkelhaarigen Mann, auf ihren Tisch zu.
Für ihre fünfunddreißig Jahre hat sie bereits ein eindrucksvolles Œuvre von fünf Romanen vorzuweisen, die allesamt gut angekommen sind und sich auch verkaufen, obwohl sie noch nicht davon leben kann. Doch die Schreibkurse machen ihr ebenfalls viel Freude, wie sie ihnen versichert hat. Nach den Kursabenden ging sie oft noch mit in die Kneipe und stößt nach wie vor gern zu ihrer Freitagsrunde.
Froukje bleibt vor dem Tisch stehen und wird mit großem Hallo begrüßt. Neugierige Blicke erfassen ihren Begleiter.
»Hallo, ihr Lieben! Ich habe jemanden mitgebracht. Eelco van Ravensberg, ein guter Freund von mir.«
Nadine, die gerade ihr Glas zum Mund führt, erstarrt. Eelco van Ravensberg ist groß, attraktiv und gut gebaut. Die Lederjacke hat er lässig über die Schulter geworfen. Als sein Blick an Nadine hängen bleibt, stockt ihr kurz der Atem, und ein wohliger Schauder läuft ihr über den Rücken.
Möglichst unbefangen gibt sie ihm die Hand und stellt sich vor: »Nadine.«
»Eelco.«
Sekundenlang sehen sie sich in die Augen.
4
»Nadine hat das Zeug zu einer wirklich guten Schriftstellerin«, sagt Froukje. »Das gilt natürlich auch für die anderen«, fügt sie rasch hinzu, als sie Enttäuschung auf mehreren Gesichtern bemerkt. »Bei dieser Gruppe muss ich mich auf eine harte Konkurrenz gefasst machen.«
Nachdem Eelco alle mit Handschlag begrüßt hat, nimmt er neben Nadine Platz. Sie sitzen dicht beieinander, hin und wieder streift sein Arm den ihren.
Ob er eine Beziehung mit Froukje hat oder einfach nur ein Freund ist, bleibt unklar, und zu ihrer Verwunderung irritiert das Nadine. Falls er nichts mit Froukje hat, ist er garantiert
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