Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
Vom Netzwerk:
aber sie war dennoch eine von uns. Bei dir ist es genau andersherum. Du bist wie wir, aber gehörst nicht hierher.«
    Natürlich war die Frau verrückt, daran ließen ihre Worte keinen Zweifel, aber irgendetwas sagte Carla, dass diese Sibylle ihre erste heiße Spur war. Sie hatte Nathalie gekannt - und ganz offensichtlich hatte es eine Verbindung zwischen den beiden gegeben, die über das gewöhnliche Verhältnis zwischen Mitpatientinnen hinausgegangen war.
    »Hat Nathalie Ihnen von ihren … Problemen erzählt?«
    Sibylle lächelte, und ihr entstelltes Gesicht verzog sich zu einer neuartigen Fratze. »Du meinst den Dämon?«
    Carla zuckte zusammen. »Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?«
    »O ja, das hat sie«, sagte Sibylle und nickte heftig.
    »Was hat sie Ihnen erzählt?«

    Sibylle sah sich nach allen Seiten um. Dann wandte sie sich wieder Carla zu. Sie senkte die Stimme. »Er hat sie einige Male besucht. In ihren Träumen. Träume, die keine gewesen sind.«
    Carla fühlte ein Schaudern. »Wie … wie meinen Sie das?«
    »Hast du auch so einen Dämon?«, fragte Sibylle, fast ängstlich. »Einen Quälgeist, der dich in deinen Träumen heimsucht?«
    »Nein«, entgegnete Carla. »Ich glaube nicht.«
    Sibylle nickte energisch. »O doch, du hast einen. Jeder von uns hat einen Dämon. Ich habe einen, du hast einen und auch deine Freundin. Ich kenne hier einen jungen Doktor, der hat sogar mehrere. Und wir alle sollten uns vor der Müdigkeit hüten.«
    Vor der Müdigkeit, dachte Carla. Nathalies Schlafanfälle. Meinte sie das?
    »Aber Nathalies Dämon - er ist real, nicht wahr?«
    »Das sind sie alle.« Mit einem tiefen Seufzer schob Sibylle den Stuhl zurück und erhob sich. Wieder sah sie Carla mit ihrem eindringlichen Blick an. »Nimm dich in Acht vor dem Doktor im roten Zimmer.«
    »Dr. Rauh?«
    Sibylle nickte. »So nennt er sich wohl.«
    »Was ist mit ihm?«, wollte Carla wissen.
    Erneut sah sich Sibylle um, als hätte sie Angst, belauscht zu werden. Dann flüsterte sie: »Er holt die Dämonen aus dem Schattenreich.«

49
    Manche Wunden heilen nie. Man glaubt, unter der Schorfschicht habe sich neue, junge Haut gebildet, aber sobald man sich dort kratzt, fängt die Wunde wieder an zu bluten.
    Nicht anders verhielt es sich mit seelischen Wunden, dachte Rudolf Marenburg. Obwohl nun schon so viele Jahre vergangen waren und er sich an den Schmerz gewöhnt zu haben glaubte, den ihm die Erinnerung an Alexandra verursachte, war ihm dennoch, als risse er eine alte Narbe wieder auf.
    Je länger er sich mit Nathalie Köpplers Akte beschäftigte, desto mehr wurde er an Alexandra erinnert. Nathalie und Alexandra hatten in der Tat mehr gemeinsam als nur ihr Aussehen. Sie hatten beide unter Ängsten gelitten. Beide hatten Probleme damit, Menschen an sich heranzulassen. Der Unterschied war, dass Nathalies Ängste auf eine reale Begebenheit zurückzuführen waren, während Alexandra sich vor Dingen gefürchtet hatte, die allein ihrer Fantasie entsprungen waren.
    Aber beide waren Patientinnen in der Waldklinik gewesen, und beide waren schließlich, vor Angst wie von Sinnen, in den Tod gerannt. Und in beiden Fällen hatte es keinerlei Vorzeichen gegeben.
    Marenburg hatte die Akte nach möglichen Hinweisen oder Ungereimtheiten durchsucht. Er hatte Zeile für Zeile gelesen, aber nichts gefunden.
    Resigniert legte er die Akte auf den Wohnzimmertisch. Dann erhob er sich und ging in den Flur zum Telefon, neben dem der Zettel mit Carlas Handynummer lag. Er hätte sie zu gern angerufen, doch sie hatten etwas anderes vereinbart. Sie würde sich bei ihm melden, sobald sie
etwas Neues erfuhr. Er musste sich also gedulden, auch wenn es schwerfiel.
    Seufzend rieb er sich die Schläfen. Er ging zurück ins Wohnzimmer und nahm den letzten Schluck kalten Kaffees aus seiner Tasse. Alexandras Tasse, dachte er und betrachtete wehmütig das Konterfei von David Bowie. Für einen kurzen Moment beschäftigte ihn die Frage, ob der junge Mann, den ihm seine Tochter eines Tages vielleicht vorgestellt hätte, wohl auch so ein dürrer, schlaksiger Kerl wie dieser Popsänger gewesen wäre. Eine weitere Frage, auf die er nie eine Antwort erhalten würde.
    Marenburg ging mit der leeren Tasse in die Küche, wo er sich den Rest Kaffee aus der Kanne eingoss. Damit spülte er eine weitere Aspirin herunter, gegen die Kopfschmerzen, die ihn schon den ganzen Morgen quälten.
    Als es an der Tür klingelte, sah er auf die Uhr. Halb neun. Zu früh für den Postboten. Wer

Weitere Kostenlose Bücher