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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Sie mit mir die Newcomerin des Jahres willkommen. Wenn es je eine Schauspielerin verdient hat, den Oscar entgegenzunehmen, dann ist es die junge Dame, die nun gleich die Bühne betreten wird.«
    Er machte eine dramatische Pause, und das gespannte Murmeln war nun noch lauter geworden.
    »Ladies and Gentlemen, Applaus für die großartige, unvergleichliche, hinreißende … Dunjaaaa Koslowskiiii!«
    Er zog ihren Namen in die Länge und untermalte damit das Öffnen des Vorhangs. Dicker roter Samt glitt auseinander und gab den Blick auf das Publikum frei. Jeder einzelne Platz des riesigen Theaters war belegt, und selbst im Mittelgang und zu beiden Seiten drängten sich Menschen - Männer in Frack oder Smoking und
Frauen in Abendkleidern. Manche der Kleider waren klassisch-elegant, andere gewagt wie das von Dunja, oder funkelten in schrillen Farben und waren mit blitzenden Pailletten besetzt. Und während nun die Fanfare der 20th Century Fox ertönte, brandete der Applaus auf.
    »Das ist für dich, Baby«, hörte sie De Niro ihr zurufen, doch im grellen Licht der Scheinwerfer konnte sie ihn nirgends ausmachen. Sie erkannte jedoch, wer in den ersten Reihen des Theaters saß und ihr zuklatschte, und vor Aufregung blieb ihr beinahe das Herz stehen.
    Da waren sie, die Größten der Großen, die Göttinnen und Götter des Films. Dunja sah Bette Davis, Jane Russell, Liz Taylor, Marilyn Monroe … und da! … war das nicht die Bergman? Ja, sie war es! O mein Gott, sie war es! Sie stand neben James Dean, Clark Gable und Cary Grant. Bei ihr war ihre Tochter, Isabella Rossellini. Die beiden Diven erhoben sich von ihren Plätzen und gaben Dunja stehende Ovationen. Gleich darauf taten es ihnen die anderen nach.
    Ich bin im Himmel, o mein Gott, ja, dies ist der Himmel!
    Dunja wusste, dass es nun an ihr lag, etwas zu sagen oder zu tun. Doch der tosende Applaus war viel zu laut, als dass sie mit Worten zu ihrem großartigen Publikum hätte durchdringen können. Also breitete sie die Arme aus, warf mit einer vollendeten Divengeste den Kopf zurück und präsentierte sich im immer greller werdenden Scheinwerferlicht.
    »Dies sind deine fünf Minuten Ruhm«, hörte sie De Niro sagen, und er hatte ja so Recht.
    Dies war ihr großer Moment! Dies war …

    Der ICE traf sie mit einer ungebremsten Geschwindigkeit von 270 Stundenkilometern. Es passierte so abrupt, dass Dunja Koslowski nicht einmal mehr spürte, wie sie vom Luftsog unter die Räder gerissen und zermalmt wurde.

47
    Gegen zwei Uhr morgens hielt Norbert Rauh vor der Fahlenberger Tankstelle. Er stieg aus seinem Wagen, streckte sich und sog die kalte Nachtluft ein.
    Der Winterhimmel über ihm war sternenklar und versprach einen weiteren frostigen Tag. Rauh rieb sich die Augen. Eigentlich sollte er längst im Bett sein, aber er war viel zu aufgewühlt, um auch nur an Schlaf zu denken.
    Er ging zum Nachtschalter. Ein junges Mädchen mit grün gefärbten Haaren saß kaugummikauend hinter der Panzerglasscheibe und blätterte gelangweilt in einem Musikmagazin. Als sie Rauh auf sich zukommen sah, beugte sie sich zur Gegensprechanlage.
    »Ja?«, quäkte ihre Stimme aus dem Lautsprecher.
    »Guten Abend«, sagte Rauh und musterte durch die Scheibe den Inhalt des Zigarettenregals hinter ihr.
    Nachdenklich rieb er sich das Kinn. Er kam sich vor, als wolle er etwas Verbotenes tun.
    »Was soll’s sein?«, fragte das Mädchen gelangweilt. »Alkohol gibt’s um die Zeit nicht, okay?«
    Als Rauh sich für eine Schachtel Marlboro entschied, schien sie irgendwie erleichtert. Wahrscheinlich war sie
zu dieser nächtlichen Stunde ganz andere Kundenwünsche gewöhnt. Rauh legte ihr das abgezählte Geld in die Durchgabe, bedankte sich und ging zurück zu seinem Wagen.
    Es war totenstill. Nur ab und zu hörte man ein vereinzeltes Auto auf der Schnellstraße. Dann trat wieder Stille ein. Fahlenberg lag in tiefem Schlaf.
    Rauh setzte sich hinter das Lenkrad, schloss die Tür und öffnete das Päckchen. Dann holte er ein silbernes Feuerzeug aus dem Handschuhfach. Er betrachtete es nachdenklich, fuhr mit dem Finger über das eingravierte C und steckte sich schließlich eine Zigarette an. Es war seine erste Zigarette seit mehr als sieben Jahren. Zuvor hatte er gequalmt wie ein Schlot - er hatte schon mit fünfzehn angefangen zu rauchen -, und als er es dann geschafft hatte, aufzuhören, hatte er sich fest geschworen, sich nie wieder eine Zigarette zwischen die Lippen zu stecken. Doch nun war es ihm egal.
    Rauh

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