Kalte Stille - Kalte Stille
Temazepam, um ihren Geist zu befreien. Es muss an diesem gottverdammten Narkotikum
gelegen haben. Eine Unverträglichkeit. Ja, bestimmt war es so.«
Fleischer griff nach dem Kanister und zog ihn zu sich heran. Dann grinste er Jan über den Rand seiner Brille an. Was auch immer es gewesen war, das Jan an Gregory Peck erinnerte hatte, nun war es endgültig aus Fleischers Gesicht verschwunden.
»Sie waren so willig, Jan. Beide. Du hättest Nathalie erleben sollen, als sie unter dem Einfluss der Droge stand. Nur ein wenig Hypnose und etwas GHB genügten, um sie ihre Furcht vor Männern vergessen zu lassen. Sie war wie eine Raubkatze, so wie auch Carmen gewesen wäre, da bin ich mir sicher.«
»GHB?« Jan glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Sie haben ihnen k.o.-Tropfen verabreicht?«
»Nur als therapeutische Intervention«, entgegnete Fleischer, als sei dies das Selbstverständlichste der Welt.
»Deshalb also die R-Notizen in Rauhs Terminkalender. Wenn Sie ihn vertreten hatten, hatte er ein R hinter dem Patientennamen vermerkt. R wie Raimund .«
»Rauh und seine Hypnose sind nur ein Weg, um Hemmungen abzubauen«, sagte Fleischer. »Kombiniert mit GHB legt man jedoch den wahren Kern der Seele frei. Das wusste schon Bernhard. Nur hat er sich nie so weit vorgewagt wie ich.«
»Deshalb konnte sich Nathalie an nichts erinnern«, sagte Jan. »Und ähnlich war es Carla ergangen, nachdem sie geglaubt hatte, von Nathalie heimgesucht worden zu sein. Sie hatten ihr das suggeriert. Sie haben diese Frauen missbraucht, Fleischer. Und all das nur, um Ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Haben Sie denn wirklich geglaubt, Sie könnten Ihren Mord dadurch wieder ungeschehen machen?«
»Sie waren nicht wie Carmen!«, schrie Fleischer ihn an. Er schüttelte sich wieder, und der niedergeschlagene Gesichtsausdruck kehrte zurück. »Keine von ihnen war wie Carmen. Das musste ich stets aufs Neue feststellen. Keine brachte mir die Erlösung. Weder Alexandra noch Nathalie, und auch nicht dieses Flittchen. Sie gingen freiwillig in den Tod. Keiner hat sie gezwungen, ihrem armseligen Leben ein Ende zu setzen. Mit Ausnahme dieser kleinen Nutte, aber bei der habe ich nur ein klein wenig nachhelfen müssen.«
Die letzten Worte hatte er mit hassverzerrter Miene ausgesprochen. Jetzt glätteten sich seine Zügen wieder. Wieder sprach der nüchterne Dozent aus ihm: »Weißt du, Jan, manchmal glaube ich, sie wussten, welchen Frevel sie begangen hatten. Sie hatten versucht, Carmens Stelle in meinem Leben einzunehmen. Dafür hatten sie den Tod verdient. Bei keiner von ihnen fühle ich mich schuldig.«
»Mein Vater ist Ihnen auf die Schliche gekommen, stimmt’s? Er hat herausgefunden, was Sie mit Alexandra gemacht hatten und dass sie deshalb in den Park gelaufen war.«
»Dein Vater. « Fleischer stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Na gut, wenn du ihn so nennen willst. Ja, Bernhard hat die Wahrheit entdeckt.«
»Deshalb haben Sie Sven entführt und ihn unter Druck gesetzt, damit er den Mund hält.« Jan sah ihm direkt in die Augen. »Sagen Sie mir endlich, was geschehen ist. Sven ist tot, nicht wahr? Sie haben ihn ermordet.«
Für eine Weile sagte Fleischer nichts. Er saß nur da und hielt Jans eindringlichem Blick stand. Dann geschah das, wovor sich Jan in den vergangenen dreiundzwanzig Jahren am meisten gefürchtet hatte. Fleischer nickte.
»Ja, Jan«, flüsterte er. »Sven ist tot.«
Jan spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich. Der Boden unter ihm schien zu schwanken, und er befürchtete, das Bewusstsein zu verlieren.
»Aber es war kein Mord«, fügte Fleischer hinzu. »Es war ein Unglück. Eine Verkettung tragischer Umstände.«
Jan schluckte und kämpfte gegen die Tränen an. »Tragische Umstände?«
»Nach Alexandras Tod hatte Bernhard Unstimmigkeiten in ihrer Akte entdeckt«, sagte Fleischer. »Er fand heraus, dass ich den Therapieplan manipuliert hatte, damit kein Verdacht auf mich fiel. Zudem hatte irgendein übereifriger Pfleger vermerkt, dass das Mädchen über Gedächtnislücken geklagt hatte. Also untersuchte Bernhard das Blut der Toten und stellte darin das Temazepam fest. Noch am selben Abend teilte er mir mit, dass er am nächsten Morgen zum Klinikleiter gehen werde. Er wollte mich verraten, verstehst du?«
»Es war seine Pflicht, so zu handeln!«
»Gott, was bist du selbstgerecht«, schnaubte Fleischer. »Genau wie Bernhard.«
»Was ist dann passiert?«
»Bernhard hatte die Akte mit nach Hause genommen.«
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