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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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allem, wenn Nathalie Ferien oder schulfreie Tage hatte, und wahrscheinlich würde sie sie auch an diesem Tag wieder zum Spielen schicken. Zu einer Freundin oder auch einfach nur auf die Straße - Hauptsache, sie hatte Ruhe vor ihr.
    Natürlich liebte ihre Mutter sie. Natalie war ihr ein und alles - jedenfalls, wenn sie sie »meine kleine Prinzessin« nannte. Aber es gab auch Tage, an denen die kleine Prinzessin nur ein »Plagegeist« war, und in letzter Zeit waren diese Tage immer häufiger geworden.
    Als sie ihre Mutter fragte, was mit ihr sei, hatte sie zur Antwort bekommen: »Das verstehst du nicht«, und sie hatte begriffen, dass es besser war, nicht mehr danach zu fragen. Es gab einfach Dinge, die sie nichts angingen, und Nathalie hatte keine Lust, wieder einen Abend mit einer brennenden Wange im Bett zu verbringen.

    Als sie an jenem Tag nach Hause kam, zog sie leise die Tür hinter sich ins Schloss und versuchte, beim Ablegen ihrer Jacke keine lauten Geräusche zu machen. Manchmal legte sich ihre Mutter am Vormittag noch einmal ins Bett - vor allem dann, wenn es nachts wieder spät bei ihr geworden war.
    Gerade als Nathalie in ihr Zimmer gehen wollte, hörte sie einen Schrei und dann noch einen. Die Schreie kamen aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter. Erschrocken lief Nathalie ans Ende des Flurs und riss die Tür auf.
    Carla rieb sich die Stirn und seufzte. »Tja, und was sich in diesem Raum abspielte, hat den Verstand der Achtjährigen einfach überfordert. Als sie es mir erzählt hat, konnte ich es ja nicht einmal als Erwachsene nachvollziehen.«
    »Was hat sie gesehen?«, fragte Jan.
    Carla nahm einen Schluck von ihrem Wasser und erzählte weiter.
     
    Nathalie sah ihre Mutter. Sie kniete vor dem Heizkörper unter dem Fenster, und Nathalie sah, dass sie mit Handschellen daran gefesselt war. Bis auf die zerrissene Strumpfhose war ihre Mutter nackt, und man konnte zahlreiche Striemen und blaue Flecke auf ihrem Rücken erkennen.
    Das alles war schon grässlich anzusehen, aber am meisten erschrak Nathalie vor den beiden Männern, die bei ihrer Mutter waren. Auch sie waren nackt. Nur ihre Gesichter waren durch Ledermasken verborgen.
    Im ersten Augenblick war Nathalie vor Schreck wie starr. Sie sah noch, wie einer der Männer ihrer Mutter ins
Gesicht schlug, während der andere hinter ihr auf dem Boden kniete und durch seine Maske keuchte. Dann bemerkte der Schläger das Kind.
    Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Grabesstille, ehe Nathalie ein leises »Mama?« zustande brachte.
    Der Schläger schrie sie an, sie solle verschwinden, und der zweite Mann glotzte sie nur stumm an.
    Noch immer vor Schreck wie gelähmt, sah Nathalie in das Gesicht ihrer Mutter. Sie hatte sich zu ihrer Tochter umgesehen, und Nathalie fiel ein dünnes rotes Rinnsal auf, das ihr aus dem Mundwinkel lief.
    Nathalie wollte irgendetwas tun. Schreien. Zu ihrer Mutter laufen. Sie vor diesen Monstern beschützen. Oder aus dem Zimmer rennen. Aber sie konnte nicht. Alles, was sie konnte, war dazustehen und auf das Unbegreifliche zu starren.
    Und dann lächelte ihre Mutter ihr zu. Sie musste Schmerzen haben, aber dennoch lächelte sie. Es war dieses ganz besondere Lächeln, das aus tiefstem Herzen zu kommen schien und das sagte: Alles ist in Ordnung .
    »Sei brav, Prinzessin, und geh draußen spielen«, sagte sie schließlich, und ihre Stimme klang so weich und sanft wie schon lange nicht mehr.
    »Unglaublich!«
    Jan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah zur Decke.
    »Ihre Mutter hat später mit ihr darüber gesprochen«, sagte Carla. »Sie muss versucht haben, ihr zu erklären, dass es ihr gefällt, sich verprügeln und vergewaltigen zu lassen. Aber erklär mal einer Achtjährigen, was nicht einmal einem normal denkenden Erwachsenen einleuchten will.«

    »Deshalb also ihre Angst vor Männern«, sagte Jan. »Sie muss als Kind geglaubt haben, das sei die normale Art von Geschlechtsverkehr, und ist innerlich nicht mehr von dieser Vorstellung losgekommen.«
    »Natürlich hat sie später gewusst, dass nicht alle Kerle so drauf sind«, sagte Carla, »aber sie hat sich einfach nicht getraut, sich auf eine sexuelle Beziehung einzulassen. Die Angst hing an ihr fest wie eine Klette, und ich habe wirklich alles versucht, um ihr zu helfen, Jan. Sie ist dem Thema ausgewichen, sobald man es nur ansprach. Manchmal hat da schon ein zweideutiger Witz ausgereicht.«
    »Sie nannte diese Angst ihren ›Dämon‹«, fügte Ralf hinzu. In seinen Augen

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