Kalte Stille - Kalte Stille
setzten sich an den Küchentisch, und Jan bot ihnen etwas zu trinken an. Carla entschied sich für ein Mineralwasser, und Ralf bat um das Gleiche. Mit einem kurzen Seitenblick auf Jans Bier meinte er: »So schnell nicht wieder.«
»Also«, sagte Jan, als er sich zu ihnen setzte, »worüber wollt ihr mit mir reden?«
»Es geht um Nathalie Köppler«, sagte Carla.
»Ja, das hat mir Ralf bereits angekündigt.«
Carla holte ein gefaltetes Blatt Papier aus ihrer Gesäßtasche, öffnete es und strich es auf der Tischfläche glatt.
»Wir versuchen den Grund herauszubekommen, weshalb sie sich umgebracht hat. Weder Ralf noch ich haben eine Erklärung dafür. Nathalie war niemand, der plötzlich auf die Idee kommt, von einer Brücke zu springen. Und das hier ist ebenfalls sehr seltsam.«
Sie schob Jan das Blatt hin. Es war der Ausdruck einer E-Mail. Jan las das Datum. Die E-Mail war kurz vor Nathalies Tod an Carla abgeschickt worden. Wenige Stunden bevor Jan sich über Nathalie gebeugt und ihre Hand ergriffen hatte.
Jan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und las. Dies war die Nachricht einer völlig verwirrten, panischen Person. Jemand, der vor Angst völlig enthemmt war und sich keine Gedanken mehr über die Formulierung seiner Worte machte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Nathalie einfach geschrieben, was sie dachte. Deshalb war jedes Wort von Bedeutung, und Jan las jeden Satz mehrmals. Bei Der Dämon aus meinem Kopf ist real!!! blieb er hängen.
Wieder sah er das zerquetschte Gesicht der jungen Frau vor sich. Schneeflocken auf blutiger Haut. Ein einzelnes Auge, das zuckend seine Umgebung zu erfassen versuchte. Eine röchelnde Stimme.
Gäoh!
Jan spürte einen säuerlichen Geschmack im Mund. Dieser Laut, dieses Gäoh …
Der Dämon aus meinem Kopf ist real!!!
Wie würde es sich wohl anhören, wenn jemand mit gebrochenem Kiefer versuchte, das Wort »Dämon« auszusprechen?
Carla schien seine Reaktion bemerkt zu haben. »Was ist?«
»Nichts«, log Jan und sah kurz zu Ralf, der sich wie
ein Häufchen Elend an seinem Wasserglas festklammerte. »Ich dachte nur gerade, dass sich diese E-Mail wie die Nachricht einer Person liest, die unter einer starken Paranoia leidet. Dieser Dämon, den sie erwähnt … Klingt wie eine Wahnvorstellung.«
»Nathalie war nicht verrückt!«, fuhr Ralf ihn scharf an. Dann schlug er die Augen nieder. »Entschuldigung … Es ist nur so, dass wir uns das selbst nicht erklären können. Nathalie ging es vor ihrem Klinikaufenthalt nicht gut, das stimmt schon. Sie hatte … nun ja, Ängste eben. Aber sie hatte keine Wahnvorstellungen. Und als sie wieder zu Hause war, ging es ihr sehr viel besser. Wenn Sie sie gesehen hätten, wüssten Sie, was wir meinen.«
»Schon gut«, sagte Jan. »Ich glaube Ihnen ja. Ich verstehe nur nicht ganz, was ihr beide von mir wollt.«
»Du bist Psychiater«, sagte Carla, »und du bist …«
»Wir wollen Ihre Meinung dazu wissen«, unterbrach sie Ralf. Er warf Carla einen kurzen Blick zu und trank dann hastig aus seinem Glas.
Jan sah die beiden an. Er vermutete, sie wussten mehr, als sie ihm bisher gesagt hatten. Vielleicht weil sie sich noch nicht vollkommen sicher waren, ob sie ihm trauen konnten.
»Warum kommt ihr damit zu mir? Warum sprecht ihr nicht mit dem Arzt, der Nathalie behandelt hat?«
»Weil wir zuerst eine neutrale Meinung hören wollen«, erklärte Carla.
»Und weil wir glauben, dass Sie jemand sind, der uns nicht mit irgendwelchen Floskeln abspeist«, fügte Ralf hinzu. »Sie wissen doch selbst, wie es ist, wenn man jemanden verliert und nicht weiß, warum.«
Jan sah ihn verwundert an. Ralf war noch zu jung, um
von Sven wissen zu können. »Woher wissen Sie von meinem Bruder?«
Ralf machte eine verlegene Geste. »Ach, wissen Sie, das war so ziemlich das Erste, was ich über Sie gehört habe.«
»Von wem?«
»Nun komm schon, Jan.« Carla sah ihn an, als habe er gerade etwas sehr Dummes gefragt. »Orte wie Fahlenberg haben ein langes Gedächtnis.«
»Länger, als einem manchmal lieb ist«, entgegnete Jan. »Und jetzt lasst uns die Karten auf den Tisch legen. Ihr seid hier, weil ihr euch schon woanders erkundigt habt und man euch keine zufriedenstellende Antwort gegeben hat. Liege ich da richtig?«
»Für die Polizei war es Selbstmord«, sagte Carla. »Es liegt kein Verbrechen vor, also wurde die Akte geschlossen.«
»Und was hat der behandelnde Arzt gesagt?«
»Dr. Rauh?« Carla verzog abfällig das Gesicht. »Nichts.«
»Nichts?«
»Er
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