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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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sorgte für ausreichend Schlaf. Doch zu den schlimmsten Aspekten ihrer Krankheit gehörte es, dass Cardinal sich nie sicher sein konnte, ob seine Frau einfach nur glücklich und aufgeregt war oder kurz davor, in die abgehobenen Gefilde der Manie abzudriften.
    Sollte ich was sagen?
Es war, als hätten die Psychiater damals vor zwanzig Jahren, als sie Catherines Störung diagnostizierten, Cardinal mit diesem endlos wiederholten Mantra in den Orden besorgter Ehepartner aufgenommen:
Sollte ich was sagen?
    »Diese Reise wird phantastisch«, sagte Catherine. »Ich spür das einfach. Wir werden das Hafengelände fotografieren. Ein paar von den alten Industriebauten, bevor sie touristisch aufgemotzt werden und nicht mehr wiederzuerkennen sind.«
    Cardinal trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Catherine erstarrte, das Objektiv in der einen Hand, das Reinigungstuch in der anderen.
    »Mir geht’s gut, John.« Ihre Stimme klang gereizt.
    »Ich weiß, Liebling.«
    »Du musst dir keine Sorgen machen.«
    Sie drehte sich nicht zu ihm um. Kein gutes Zeichen.
     
    Die Insekten prasselten wie Regen auf die Windschutzscheibe. Gelegentlich hing Cardinal hinter einem klapprigen Lkw,so dass er nicht vorankam, doch die meiste Zeit war die Straße leer. Er hatte den Krankenwagen irgendwo auf der Höhe von Huntsville hinter sich gelassen.
    Cardinal beschloss in einem Kraftakt, sich nicht länger um Catherine zu sorgen, sondern sich auf den Rotschopf zu konzentrieren. Der Beutel und die Fotos lagen auf dem Beifahrersitz neben ihm. Er hegte nicht den geringsten Zweifel, dass er es hier mit einem Mordversuch zu tun hatte, doch nach zwanzig Jahren – zehn Jahren in Toronto und noch einmal so vielen in Algonquin Bay – war er lange genug bei dem Verein, um sich zu keinen voreiligen Schlüssen hinreißen zu lassen.
    Am katholischen Jungengymnasium, auf das er gegangen war, hatten die Priester darauf bestanden, dass ein Jugendlicher, der auf Abwege geraten war, stets mit den Augen seines Schöpfers auf seine Taten blickte oder aber, falls das seine Phantasie überforderte, wenigstens mit den Augen seiner Mutter. In Cardinals Kopf war ein Verteidiger an die Stelle dieser Inquisitoren getreten und schnüffelte wie die Ratte nach dem Käse unablässig nach Gründen für jenen berühmten Zweifel herum.
    »
Und Sie sagen, Sie haben sie nicht auf Schmauchspuren untersuchen lassen, ist das korrekt, Detective?«
    »Das ist korrekt.«
    »Solange uns das Gegenteil nicht durch eine solche Untersuchung bewiesen ist, wäre es aber durchaus möglich, dass das Opfer sich die Kugel selbst in den Kopf geschossen hat, nicht wahr?«
    »Zum einen ist sie Linkshänderin; zum anderen gab es keine Schmauchspuren an ihrer Kopfhaut. Es ist demnach höchst unwahrscheinlich, dass sie selbst geschossen hat.«
    »Beantworten Sie einfach nur meine Frage, Detective. Ich habe Sie gefragt, ob es möglich ist.«
    Cardinal ließ sich mit der Abteilung 52 der Kripo Torontoverbinden und forderte einen 24-Stunden-Personenschutz für das Mädchen an.
     
    Dr. Melanie Schaff war kühl und effizient und zudem gut fünf Zentimeter größer als Cardinal. Sie legte diese reservierte Schroffheit an den Tag, die man oft bei Frauen antrifft, die sich ihren Aufstieg in eine Männerdomäne erkämpfen mussten; Cardinals Kollegin Lise Delorme war auch dieser Typ.
    »Ihre Mrs. X hat eine partielle Lobotomie erlitten, und die Kugel steckt in der Nähe des Hippocampus fest«, erklärte Dr. Schaff. »Manchmal ist es sicherer, eine Kugel nicht zu entfernen, aber diese hier ist zu nah an einer der Gehirnarterien. Bei der Krampfaktivität, die wir in ihrem EEG sehen, können wir sie auf keinen Fall stecken lassen. Ein oder zwei starke Krämpfe, und es könnte das Ende für Mrs. X bedeuten.«
    »Wie hoch ist das Risiko?«
    »Geringfügig, verglichen mit den Folgen, wenn die Kugel drinbleibt. Ich habe ihr das erklärt, und sie scheint der OP gefasst entgegenzusehen.«
    »Ist sie denn in der Lage, eine solche Entscheidung zu fällen?«
    »Oh ja. Ihr Gedächtnis und ihre Affekte sind beeinträchtigt, aber nicht ihre rationale Denkfähigkeit.«
    »Wie groß ist ihre Chance, sich vollkommen zu erholen?«
    »Der vordere Stirnlappen ist nur partiell durchtrennt und nur auf einer Seite, die Chancen stehen somit nicht schlecht, dass sie einmal wieder über die ganze emotionale Bandbreite verfügt. Garantieren kann man natürlich für nichts. Wir können keine direkten Schäden an den

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