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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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nicht.«
    Ihre Antwort kam mit solchem Ernst heraus, dass Jerry lachen musste. Er konnte sich niemanden vorstellen, der weniger indianisch aussah.
    In der Notaufnahme reichte ihm ein junger Mann hinter der Empfangstheke ein Klemmbrett mit einem Formular.
    »Wir werden keine einzige dieser Fragen beantworten können«, sagte Jerry. »Die junge Dame kann sich nicht ausweisen und an nichts erinnern.«
    Der junge Mann zuckte nicht mit der Wimper, als ob jeden Abend Fälle von Amnesie bei ihm hereinspazierten. »Füllen Sie es einfach für Mrs. X aus, und das Übrige Pi mal Daumen. Die Aufnahmeschwester ist auf dem Weg.«
    Das Mädchen saß da und summte, während sie warteten, ohne erkennbare Melodie vor sich hin. Jerry füllte das Formblatt aus, indem er immer wieder »unbekannt« schrieb. Allmählich wurde es voller im Raum. John Cardinal kam mit einem Mann im mittleren Alter herein, der wie das Opfer eines tätlichen Überfalls aussah. Er nickte Jerry zu. In der Notfallaufnahme lief man nicht selten einem Kollegen über den Weg, und freitagabends war es geradezu vorprogrammiert. Die Schwester kam herüber und sprach etwa drei Minuten mit ihnen, gerade lange genug, um eine Laboruntersuchung anzuordnen und ihren Fall dringend zu machen. Irgendwann kam Dr. Michael Fortis aus einem Untersuchungszimmer und besprach sich mit der Schwester. Jerry gesellte sich zu ihnen; er hatte schon viel mit Fortis gearbeitet.
    »Nicht viel los für einen Freitag«, sagte Jerry. »Schickt ihr sie alle zum St. Francis?«
    »Sie hätten vor einer Stunde hier sein sollen. Wir hatten unabhängig voneinander zwei Auffahrunfälle, auf dem Highway 11 gab’s Streit zwischen ein paar Pkw und einigenElchen. Der eine in dem Allradwagen war nicht so schlimm dran, aber der Kerl im Miata kann von Glück sagen, wenn er je wieder laufen kann. Passiert immer um diese Jahreszeit. Die Kriebelmücken treiben die Elche aus den Wäldern, und rums.«
    »Ich hab ein bisschen was Ungewöhnlicheres für Sie.«
    Zwanzig Minuten später kam Dr. Fortis aus dem Untersuchungszimmer und zog die Tür hinter sich zu.
    »Diese junge Frau ist sowohl zeitlich als auch räumlich vollkommen desorientiert. Außerdem leidet sie unter Affektminderung und einer dramatischen Amnesie. Sie könnte schizophren oder bipolar sein und unter Medikamentenentzug stehen. Wissen wir irgendetwas über sie?«
    »Nichts«, sagte Jerry. »Sie kann von hier stammen, aber das würde ich eher bezweifeln. Sie sagt, sie ist im Wald aufgewacht.«
    »Ja, ich hab die Stiche gesehen.«
    Ein Angestellter reichte dem Arzt ein Klemmbrett. Er blätterte ein-, zweimal um. »Ihre Laborwerte. Rauschmittelbefund negativ. Ich ruf wohl besser mal in der Psychiatrie an und frag, ob bei ihnen eine Patientin entlaufen ist. Falls nicht, werde ich einen Kollegen von der Psychiatrie zu Rate ziehen, aber nicht vor morgen früh. Inzwischen machen wir ein Schädel-Röntgenbild. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was wir sonst noch tun sollen.«
    Er öffnete die Tür zum Untersuchungszimmer und holte das Mädchen heraus.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie Jerry.
    »Erinnern Sie sich an mich?«, fragte Dr. Fortis.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Ich bin Dr. Fortis. Dieser Gedächtnisverlust, den Sie da haben, ist gewöhnlich ein Traumasymptom. Ich nehme Sie jetzt mit dort rüber und mache eine Aufnahme von Ihnen.«
    Jerry kehrte wieder ins Wartezimmer zurück, das sich jetzt allmählich mit den üblichen fluchenden Betrunkenen oder mit Kindern füllte, die wegen ihrer Koliken oder Mückenstiche schrien. Er rief im Präsidium an, um zu hören, ob es eine Vermisstenmeldung gab, die auf den Rotschopf passte. Der Dienst habende Sergeant alberte ein bisschen mit ihm herum; Jerry war inzwischen bei der OPP, der Provinzpolizei von Ontario, hatte aber früher bei der Kripo Algonquin Bay gearbeitet, und der Sergeant war ein alter Freund. Keine Rotschöpfe vermisst gemeldet.
    Jerry überlegte, was zu tun war. Für diesen Fall war Algonquin Bay zuständig, nicht er, doch falls das Krankenhaus sie nicht aufnahm, mussten sie das Mädchen irgendwo unterbringen, vielleicht im Frauenhaus. Und falls sich herausstellte, dass sie überfallen worden war, dann musste er in die Bar zurück und rausbekommen, ob irgendjemand sie kannte; musste zurückverfolgen, wann sie reingekommen war und von wo. Er fragte sich, wie sie in den Wald geraten war. Sie war nicht wie zum Campen angezogen.
    Er traf Cardinal dabei an, wie er Formulare unterschrieb und mit dem

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