Kalter Schlaf - Roman
getäuscht.«
Kate wich seinem Blick nicht aus. »Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte sie. »Dass ein Schwuler, der Bühnenwerke von Noël Coward liebt, nicht als Mörder junger Frauen verdächtigt werden würde? Ich wette, dass diese Rolle dir viel Vergnügen bereitet hat.«
Er gab keine Antwort, sondern sah sie nur an. Dabei fielen ihr erstmals winzige grüne Einsprengsel in seinen hellgrauen Augen auf.
Sie wartete. Als er weiter schwieg, fuhr sie fort: »Ich kenne dich, Harry. Ich weiß, dass du ein Lügner und Manipulator bist.« Kate bemerkte seine unterdrückte Erregung und identifizierte sie als Entzücken. »Du warst in meinem Haus, hast mein Handy und andere Dinge geklaut …« Sie machte eine Pause, als Empörung in ihr aufstieg. »Und du hast etwas zurückgelassen. Im Zimmer meiner Tochter. Um Streit zu provozieren …«
Er lachte. Ein seltsam hoher, quiekender Laut, der tief aus der Kehle kam.
Kate ignorierte ihn, sprach weiter: »Du hast dafür gesorgt, dass ich einen Platten hatte. Ich erzähle dir, dass ich das alles weiß. Du musstest mir – uns – beweisen, was du alles kannst. Aber deine Rolle konntest du nicht wirklich überzeugend spielen, stimmt’s, Harry?« Sein Gesicht war ausdruckslos, sein Blick wachsam, als Kate langsam den Kopf schüttelte. »Das ist mir wieder eingefallen, weißt du. Als wir uns die Fotos von misshandelten Frauen angesehen haben, war dir kein Mitleid, kein bisschen Mitgefühl anzumerken. Weil du keines empfinden kannst.«
Er grinste, ohne die Zähne zu zeigen.
»Wir wissen jetzt, dass du dafür verantwortlich warst, dass Matt Prentiss ein Fehler angelastet wurde, den du gemacht hast. Und dann die Sache mit Julian. Du hast ihn manipuliert und ihm Drogen angeboten, die er nicht angenommen hat. Du hast mir von seinem angeblichen Drogenkonsum erzählt, weil du gespürt hast, dass er in Bezug auf dich zunehmend nervöser und verwirrter wurde.« Sie starrte ihm ins Gesicht. »Du warst bereit, sein Leben zu ruinieren, und hättest ihm alles genommen!«, schloss sie aufgebracht.
Als sie in Harrys Gesicht, in seine ausdruckslosen Augen starrte, sah sie eine leichte Bewegung der Lippen und hätte schwören können, ein spöttisches »Buh!« zu hören.
Harry saß schweigend da, erwiderte gelassen ihren Blick, als Kate fortfuhr: »Janine Walker. Molly James. Suzie Luckman. Jody Westbrooke.« Während sie die Namen aufzählte, regte sich etwas in den ausdruckslosen Augen. Grenzenlose Gier. Die war noch immer da – in seinem Kopf. »Du hast sie fotografiert. Du hast deine an diesen jungen Frauen verübten Gräueltaten fotografiert.« Sie funkelte ihn an, blieb aber sachlich bei den Tatsachen. »Wir haben zurückliegende Fälle überprüft und konnten dich nicht finden. Dabei musst du schon früher ähnliche Straftaten verübt haben.«
Seine Reaktion bestand aus einem kaum sichtbaren Grinsen. Heimlichtuerisch.
Kate ließ ihn nicht aus den Augen. »Mehr habe ich zu deinen Taten nicht zu sagen. Zu denen werden dich andere vernehmen. Ich bin nur hier, um …«
Sie verstummte, starrte ihn an. Er machte etwas mit dem Mund. In ihrem geschwächten Zustand leicht zu irritieren, beobachtete Kate, wie sein Unterkiefer mahlte und die Halsmuskeln hervortraten. Sie sah seine zusammengerollte Zunge zwischen den Zähnen hervorkommen, sah darin ein kleines weißes Plastikteil. Gezackt.
Kate war schockiert, zu keinem klaren Gedanken fähig und völlig überrascht, als die beiden stämmigen Beamten plötzlich hinter ihr erschienen. Sie stürzten sich auf ihn, packten ihn links und rechts. Eine gewaltige Pranke schoss nach vorn und umklammerte Creeds Unterkiefer.
»Dreckskerl! Aufmachen! Aufmachen!« Er öffnete langsam den Mund, und der kleine gezackte Gegenstand fiel auf den Tisch, auf dem er, von blasigem Speichel benetzt, liegen blieb.
Die Klinge eines Plastikmessers.
Die Uniformierten verharrten sekundenlang, dann nickten sie sich zu, ließen ihn los und stießen ihn auf den Stuhl zurück. Von rechts erschien eine Hand in Latex und nahm das Plastikteil vom Tisch.
Kate sah Creed an, der demonstriert hatte, wozu er imstande war. Der bewiesen hatte, dass er jedes System manipulieren konnte.
Seine Kollegen dicht hinter sich, kam einer der stämmigen Beamten an den Tisch zurück, stützte sich mit behandschuhten Händen auf die Tischplatte und funkelte den Häftling schwer atmend an.
»Das war Ihre erste und einzige Chance, Creed. Ab sofort kriegen Sie bei uns kein Besteck mehr.
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