Kalter Weihrauch - Roman
Haar gefahren. Aber das wollte er doch gar nicht! Dass sie irgendetwas für ihn aufgab! Du lieber Himmel! Er war doch überhaupt nur gekommen, um ihr zu sagen, dass es keinen Platz in seinem Leben für eine neue Beziehung gab. Und dass er auch gar keine Zeit dafür hatte. Natürlich hatte er damit nicht einfach so herausplatzen können. Also hatten sie zuerst einen Scotch miteinander getrunken, wie beim letzten Mal. Dazu hatten sie Musik gehört, wie beim letzten Mal. Eine Frauenstimme, die er nicht gekannt hatte. So eine rauchige, verführerische, die ihn ganz schläfrig gemacht hatte. Oder war es der Scotch gewesen? Und dann waren sie im obersten Stockwerk gelandet, wie beim letzten Mal. Diesmal hatte Henriette sogar Licht gemacht, eine kleine Nachttischlampe mit rotem Schirm, deren warmes Licht ihren nackten Körpern geschmeichelt hatte. Und er war aufs Neue erstaunt darüber gewesen, wie seidig zart sich die Haut dieser Frau anfühlte, die bestimmt kein junges Mädchen mehr war. Schon lang nicht mehr. Und dennoch …
Das Handy in seiner Jackentasche läutete irgendwo auf dem Fußboden. Die Frau neben ihm gab ein Geräusch wie Seufzen von sich, aber er rollte sich von ihr weg, kämpfte sich aus dem Bett und tappte zu seiner Jacke hin.
»Pestallozzi.«
»Artur, du musst unbedingt kommen. Ich habe mit einer von den Schwestern gesprochen, mit der Agnes, die ist für die Küche zuständig, wir haben einen Apfelstrudel miteinander gemacht, ganz im Ernst, und dann habe ich ihr von der Agota erzählt. Dass ich Gerichtsmedizinerin bin und sie bei mir …«
Lisa! Lisa, die aus dem Kloster anrief, diese Verrückte! Er sah sich im dämmrigen Licht des Schlafzimmers um, die weiße Tür führte ins Badezimmer, wie er seit seinem letzten Besuch wußte. Pestallozzi ging darauf zu, splitterfasernackt, das Handy gegen sein Ohr gepresst. Er betätigte den Schalter neben der Tür und gleißend helle Spots flammten auf, endlich. Eine Wanne wie ein riesiger Zuber aus schneeweißem Porzellan stand mitten im Raum von Spiegeln umrahmt, Armaturen funkelten, ein Ficus Benjamin ging bis zur Decke. Er setzte sich auf den nächstbesten Hocker aus Chrom und weißem Leder und lauschte der aufgeregten Stimme.
»… und dann hat sie mir gesagt, dass sie einen Mann gesehen hat, der nur Stunden, bevor sie verschwunden ist, mit der Agota geredet hat. Und dass die Agota vollkommen aufgelöst war. Und dass sie …«
»Und weshalb hat sie das nicht uns erzählt, diese verdammte Schwester Agnes?« Er spürte, wie die Wut in ihm hochstieg, am liebsten hätte er das Handy gegen einen der Spiegel geschmettert. Er hätte diese heuchlerischen Fuchteln viel härter in die Zange nehmen müssen. Er hätte …
»Weil sie einfach anders tickt, verstehst du? Sie wollte die Agota beschützen und sie nicht noch mehr Gerede aussetzen. Aber sie hat darauf vertraut, dass der da oben schon alles richtig lenken wird. Und wie ich dann gekommen bin, hat sie das für ein Zeichen gehalten. Und mit mir geredet.«
»Die Schwester Agnes.« Er versuchte, die Bitterkeit aus seiner Stimme zu verbannen.
»Genau.«
»Und hat sie noch weitere Hinweise für uns? Nur falls der da oben es gestattet, natürlich.«
»Ach, Artur, ich verstehe dich ja. Aber sie hat es ganz bestimmt nicht böse gemeint, glaub mir. Ja, sie hat den Mann erkannt, sagt sie.«
Er stand langsam auf. »Erkannt?«
»Ja, das heißt, nicht so, wie du jetzt vielleicht glaubst …« Sie verstummte, und er stand da und ballte die freie Hand zur Faust.
»Also es ist so. Die Schwester Agnes hat mir gesagt, dass dieser Mann ausgeschaut hat wie der Heilige Nepomuk. Weil der hat auch so …«
Lisa war übergeschnappt! Ihm wurde heiß und kalt. Die wirkte ja schon seit Längerem so überlastet und gehetzt, und jetzt hatte es offenbar eine echte Fehlzündung in ihrem Kopf gegeben. In diesem Kloster. Er musste sie da rausholen und zu …
»Artur? Bist du noch da?«
»Doch, doch, natürlich. Ich möchte dich nur …«
»Artur, ich bin nicht übergeschnappt! Weil das denkst du dir ja jetzt gerade, ich kenne dich doch. Aber verstehst du nicht? Für die Schwester Agnes hat dieser Mann einfach ausgeschaut hat wie der Heilige Nepomuk! Die lebt in einer Welt, da denkt man auf diese Art. Die hat noch kein Handy und keinen Computer wie die Oberin. Für die ist es ganz normal, dass sie so einen Vergleich zieht. Der Mann hat ausgeschaut wie der Heilige Nepomuk in der Kapelle im Schatten hinter Goisern. Wo früher
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