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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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losgeheult. »Man schafft das schon irgendwie. Nur manchmal, dann wird es einfach zu viel. Jetzt vor Weihnachten. Alle rennen nur mehr wie die Verrückten herum. Alles muss funktionieren, alle sollen glücklich sein. Ich gebe mir solche Mühe, aber manches Mal …« Sie verstummte.
    »Sie sind bestimmt eine gute Mutter«, sagte Schwester Agnes nach einer Weile. »Zweifel und Müdigkeit gehören zum Leben dazu. Aber Sie haben genug Kraft, das merkt man Ihnen an, auch wenn Sie so ein schmales Menschlein sind. Der Herrgott wird Sie behüten, Sie und Ihre Kinder, so gut er kann. Und ich werde für Sie beten.«
    Dann machten sie sich an den zweiten Strudel. Endlich wuchteten sie ihn gemeinsam ins Rohr, wo schon der erste schmurgelte und brutzelte. Es roch betörend. Lisa strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, sie fühlte sich so zufrieden wie schon lang nicht mehr.
    »Morgen fahren Sie wieder nach Salzburg zurück?«, fragte Schwester Agnes. Sie hatte sich am Tisch abgestützt. Kochen für 15 Personen zweimal am Tag, das war harte körperliche Arbeit.
    Lisa nickte. »Morgen Nachmittag. Spätestens.« Sie hatte plötzlich solche Sehnsucht nach ihren Kindern, dass sie am liebsten auf der Stelle losgefahren wäre. Mit diesem guten Gefühl im Bauch. Mit der Miriam würde sie sich zusammensetzen und reden, na ja, es wenigstens versuchen. Vielleicht konnte sie ihrer großen Tochter ja klarmachen, was für ein Gefühl das war, wenn der Mann, den man geliebt hatte, wieder Vater wurde. Und vielleicht würde die Miriam ihr dann erzählen, was sie …
    »Sind Sie eigentlich praktische Ärztin?«, fragte Schwester Agnes, »oder Kinderärztin? Das würde gut zu Ihnen passen.«
    Still war es im Haus. Nur der Ofen knackste ab und zu. Lisa holte tief Luft. »Nein, ich bin Gerichtsmedizinerin. Ich seziere Menschen und untersuche die Ursache ihres Todes.«
    Schwester Agnes sah ihr forschend ins Gesicht. »Das ist sicher kein leichter Beruf.«
    Lisa nickte wieder. »Aber man gewöhnt sich daran. Es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn man den Hinterbliebenen eine Antwort auf ihre Fragen geben kann. Nur manchmal …« Sie verstummte. Artur hatte sie ausdrücklich davor gewarnt, ja ihr geradezu verboten, irgendwelche Fragen zu stellen. Wir können noch immer nicht ausschließen, dass jemand aus dem Kloster dieser Agota gefolgt ist, hatte er beinahe gebrüllt. Also lass die Finger von Nachforschungen auf eigene Faust, hast du mich verstanden? Dann hatten sie beide wütend das Gespräch beendet. Aber jetzt stand sie hier, und diese freundliche alte Schwester sah so teilnahmsvoll in ihr Gesicht. Was sollte schon groß passieren, außer dass sie vor die Tür gesetzt wurde? Lisa sah Schwester Agnes an. »Manchmal lässt mich ein Fall einfach nicht los. In der vorletzten Woche ist diese Agota Lakatos, die aus Ihrem Kloster gekommen ist, auf meinem Tisch gelegen. Und seither muss ich immer wieder an sie denken. Was ihr wohl zugestoßen ist. Ganz zum Schluss, meine ich. Denn diese Agota ist schon als Kind misshandelt worden, das hat die Obduktion ihres Körpers eindeutig ergeben. Und jetzt bekomme ich sie nicht mehr aus meinem Kopf.« Sie verstummte. Ob das wirklich eine gute Idee gewesen war, sich so weit vorzuwagen? Egal, jetzt war es zu spät für einen Rückzieher. Still war es im Raum, nur der glühend heiße Herd knisterte. Die Küche war einen langen Weg vom Haupthaus des Klosters entfernt, daran musste Lisa plötzlich denken. Das hatte sie vorhin nicht bedacht, wie weit weg die anderen waren. Kein Laut aus diesem Raum würde nach oben dringen, kein Rufen, kein Schreien. Das spitze kleine Messer, mit dem sie Äpfel geschält hatte, lag dicht neben der Hand von Schwester Agnes, die klein und alt war, aber sicher immer noch eine kräftige Frau, die täglich für eine ganze Gemeinschaft aufkochte. Lisa fühlte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren brach.
    »Ja, die Agota«, sagte Schwester Agnes leise, wie zu sich selbst, »die habe ich gekannt.«

    *

    Der Anruf kam am frühen Abend. Sie lagen nebeneinander, schläfrig, wohlig erschöpft. Unter einer Decke, die federleicht war, aber trotzdem so angenehm warm auf der Haut. Seine eigene Steppdecke kratzte immer wie ein alter Fäustling. Die Frau kuschelte sich mit geschlossenen Augen an ihn. Schon seit fast einer Stunde hatte sie keine Zigarette mehr geraucht. Für dich gebe ich noch meine letzten Laster auf, hatte sie gelacht, als er das vorhin lobend erwähnt hatte, und war ihm durchs

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