Kalter Zwilling
eiligen Schrittes zurück ins Büro, Olivers Liste fest unter den Arm geklemmt. Jetzt wusste sie, wonach sie suchen musste.
...
Oliver Bergmann blätterte in seinen Unterlagen, während sein Partner Klaus ein leeres Blatt Papier bearbeitete. Sie saßen in dem winzigen Zimmer, das die Polizeibehörde Oliver zur Verfügung gestellt hatte. Der Raum war spartanisch eingerichtet. Ein kleiner Schrank aus hellen Spanplatten, der beim Öffnen der Türen fast auseinanderfiel, grenzte an einen einfachen Schreibtisch mit nur einer Schublade. Auf der anderen Seite des Zimmers stand das Bett, neben dem eine hässliche grüne Stehlampe aus den siebziger Jahren aufgebaut war. Klaus musste die Nächte auf einer Matratze verbringen. Das war zumindest eine kleine Rache für die missliche Lage, in die er Oliver gebrachte hatte.
Die Liste der Freier von Sophia Koslow führte neben anderen drei Männer auf, die bei amerikanischen Unternehmen in Neuss arbeiteten. Oliver hatte sie genau überprüft. Doch nur einer von ihnen war im letzten Jahr in St. Paul im US-Bundesstaat Minnesota aufgetaucht, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als dort ein ähnlich brutaler Mord an einer Prostituierten begangen wurde.
Der einzig sichtbare Unterschied zwischen diesen beiden Morden war, dass der Killer die Finger der Prostituierten aus St. Paul zwar amputiert, aber nicht auf eine Nylonschnur aufgefädelt hatte. Stattdessen nähte er die Finger auf eine unnatürliche Art zusammen und drapierte sie auf einer silbernen Platte. Ein weiterer Mord dieser Couleur war seitdem in den USA nicht mehr vorgekommen und Oliver glaubte, den Grund dafür zu kennen. Ronny Hammerschmidt, sein Hauptverdächtiger, war ein deutscher Angestellter der Firma UPS. Dienstreisen standen für ihn auf der Tagesordnung. Er hatte sich in der Hierarchie des Unternehmens relativ weit nach oben gearbeitet und akquirierte Kunden für UPS in ganz Europa. Er flog regelmäßig in das Hauptquartier, welches in St. Paul, Minnesota, ansässig war.
Leider hatte Oliver keine Gelegenheit mehr gefunden, ihn zu verhören und seine Dienstreisen zu überprüfen. Es würde ihn nicht wundern, wenn weitere Leichen an den Orten auftauchten, an denen er unterwegs war.
Klaus malte dicke Linien zwischen den Tatorten, verdächtigen Personen und den beiden Opfern. »Wir haben immer noch keinen Zusammenhang zwischen Hans-Peter Mundscheit und Sophia Koslow.« Oliver runzelte die Stirn. Wählte der Mörder seine Opfer zufällig aus oder gab es eine Verbindung zwischen ihnen?
»Wie viele Kinder hat Ronny Hammerschmidt mit seiner Frau?«
Klaus sah ihn verständnislos an, blätterte jedoch in den Unterlagen.
»Zwei, sie haben Zwillinge.«
Oliver nickte. Seine Gedanken ratterten. Zwillingsgeburten kamen in Deutschland nicht so häufig vor. Erst vor kurzem hatte er einen Bericht des Statistischen Bundesamtes gelesen, nachdem jedes 29. Baby ein Mehrlingskind war. Vor 20 Jahren traf dies gerade einmal auf jedes 42. Kind zu. Ein Grund für den rasanten Anstieg von Zwillingsgeburten war die Reproduktionsmedizin, die Methode der künstlichen Befruchtung.
Plötzlich machte es in Olivers Hirn, seit Jahren geschult im Erkennen von Mustern und Zusammenhängen, ganz leise klick: Hans-Peter Mundscheit war Biologe an der Universität zu Köln gewesen und Leiter des IVF-Labors, das die künstlichen Befruchtungen durchführte. Er war bekannt für seine hohe Erfolgsquote. Das musste die Verbindung sein.
»Wir müssen herausfinden, ob die Frau von Ronny Hammerschmidt ihre Zwillinge mit Hilfe von Mundscheit bekommen hat.« Oliver machte eine ausschweifende Geste. »Wenn ja, dann haben wir einen ersten Zusammenhang.«
Klaus hob fragend eine Augenbraue. »Aber warum sollte er den Mann umbringen, der ihm zur Vaterschaft verholfen hat?«
Oliver zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, vielleicht ist irgendetwas schiefgegangen.«
Plötzlich sah er Schlagzeilen über vertauschte Kinder vor sich. »Wir müssen es herausfinden!«
...
»Du meine Güte, es ist kaum zu glauben«, flüsterte Anna. Ihr Herz pochte aufgeregt. Emily nickte mechanisch, ohne ihren Blick von dem jungen Mann abzuwenden, der friedlich in einer Tageszeitung blätterte, während er hin und wieder einen kleinen Schluck Kaffee aus seiner Tasse schlürfte. Die dunkelbraunen Haare waren kurzgeschoren und die blasse Hautfarbe verlieh seinem Gesicht einen solch unschuldigen Ausdruck, dass ihr Verstand wild durcheinanderwirbelte. Der
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