Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
zu ihm und sagt, dass sie weiß, was vorgeht. Er denkt natürlich an die Fleischsache, sie denkt an seine Arbeit als Personalchef. Er bekommt die Panik, und als die Gelegenheit günstig ist, stößt er den Stapel mit Cognac-Kisten um. Vielleicht hat er auch mit dem Boss von rindvieh.com geredet, und der hat ihm aufgetragen, sie ruhig zu stellen. Wer weiß? Jedenfalls überlebt Karin und droht ihm noch einmal, diesmal massiver. Er beginnt sich zu fürchten und sagt rindvieh.com, dass er aussteigen will. Man trifft sich in der Nacht im Lager, man will Heller nicht ziehen lassen, Heller wird erschossen.«
Vesna stimmte zu. »Er hat vielleicht Angst gehabt nach den Drohungen von Karin. Man muss Filialleiter fragen, ob er Heller erzählt hat, dass sie sich über ›komisches Fleisch‹ beschwert hat. Ist möglich. Damit die Sache gut geht, muss Ruhe sein. Solange alles ruhig ist, traut sich Heller, Geld zu kassieren. Aber dann wird es ihm zu gefährlich. Eigentlich hat die Unruhe schon mit Überfall angefangen. Da kann der Supermarkt näher angeschaut werden, von den Chefs, von der Polizei, von Medien.«
»Deswegen wollte er auch keine Polizei«, rief Grete.
Ich bremste ihre Euphorie. »Wir haben keine Beweise, nur das Indiz, dass Heller seit einem halben Jahr mehr Geld als zuvor gehabt hat. Was, wenn er wirklich im Lotto gewonnen hat?«
»Warum sollte er dann die Kartons auf Karin werfen? Wegen der Gewerkschaftssachen? Mir ist das immer schon komisch vorgekommen«, warf Grete ein, »die sitzen doch am längeren Ast und wissen das auch.«
»Kommt mir auch komisch vor«, meinte Vesna, »jetzt müssen wir warten, ob Gespräch mit Dr. Oskar etwas bringt.«
»Hast du mit dem LKW-Fahrer schon geredet?«
»Nein, kann ich nicht. Was, wenn er den Fleischbetrügern alles erzählt? Dann ist allen klar, dass ich von der Sache weiß.«
Ich nickte. Darüber hatte ich mir ohnehin schon Sorgen gemacht.
»Glaube mir, der ist harmlos. Aber wir müssen aufpassen, dass er nicht mit denen redet statt mit Oskar.«
»Und wenn es nicht gelingt?«
»Gehen wir zur Kommissarin Schneyder.«
»Ich hoffe, dass es dann nicht zu spät ist.«
»Ich bin gewarnt. Was ist? Wann hat Oskar Zeit?«, bohrte Vesna nach.
»Ich weiß nicht …«
»Dann rufe ihn an. Bitte.«
Neben den beiden Frauen, die natürlich voller Neugier auf jeden Unterton lauschten, mit Oskar zu telefonieren war mir nicht sehr angenehm. Ich erreichte ihn noch in der Anwaltskanzlei und gab ihm gleich zu verstehen, dass ich nicht allein war.
Übermorgen Abend würde er es schaffen, meinte er.
»Übermorgen ist das Extrazimmer nicht frei, sie haben eine Weihnachtsfeier.«
»Morgen? Morgen?«, fragte Vesna dazwischen.
»Wie ist es mit morgen?«
»Ich muss einen wichtigen Fall abschließen, das geht ganz schlecht.«
»Wenn der Fahrer zusagt, ist ihm die Zeit wahrscheinlich egal.«
Oskar seufzte. »Wenn ich heute bis Mitternacht durchhalte, dann müsste es morgen so um acht passen. Schlimmstenfalls muss ich eben morgen Abend noch einmal zurück ins Büro. Soll ich?«
»Na ja, wenn du es schaffst?«
»Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast …«
»Es geht immerhin um Betrug, vielleicht auch um Mord und Entführung. Um Karin.«
»Ja, leider. Ich wünschte, du hättest damit nichts zu tun.«
»Ich liebe dich«, sagte ich leise und legte auf. Ich hatte es noch nicht sehr oft zuvor gesagt. Vesna und Grete taten, als hätten sie nichts gehört, und schauten drein wie zwei Schafe. Ich begann zu grinsen, sie lächelten zurück. Bald kamen die Feiertage. Ultrakauf hin oder her, ich würde sie in Ruhe und Harmonie verbringen. Mit Oskar.
Wir wälzten weiter Theorien, aßen eine Menge und tranken drei Flaschen Merlot. Als die beiden schließlich gingen, entkam Gismo wieder einmal ins Treppenhaus. Nicht mit mir. Ich erinnerte mich, wie sie fünf Minuten nach ihrem letzten Ausbruch brav auf der Fußmatte gesessen hatte, schloss die Tür und startete meinen Laptop. Besser, ich schrieb unsere Verdachtsmomente nieder.
Nun schien sich alles nahtlos ineinander zu fügen: der Überfall, der zwar mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte, der aber der erste Anlass für die Unruhe gewesen war, die Heller nicht brauchen konnte. Karin, deren Drohungen er missverstanden hatte. Karin, die sich bei Filialleiter Feinfurter auch noch über die Fleischqualität beklagt hatte, Karin, die den Anschlag überlebte und Heller zu verstehen gab, dass ihr klar war, wer es gewesen ist. Das war zu
Weitere Kostenlose Bücher