Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
weiß ja nicht, ob es so ist, aber ich glaube, ich habe Recht. So hat sie immerhin gestanden. Auch wenn sie nicht alles weiß.«
Vesna sah Grete beinahe hochachtungsvoll an. »Das hätte ich dir nicht zugetraut.«
»Bei mir braucht es eben immer länger«, antwortete Grete.
21.
Ich verbrachte die Weihnachtsfeiertage größtenteils damit, Material zu sichten und an meiner Reportage über den Fleischbetrug zu arbeiten. Sie sollte in der ersten Januarausgabe des »Magazins« erscheinen. Noch hatten die österreichischen Medien wenig von dem mitbekommen, was in Schönpolding gelaufen war. Zum Glück lag das Land in weihnachtlichem Tiefschlaf. Zwar hatten die oberbayrischen Lokalzeitungen berichtet, aber die örtliche Polizei hatte sie offenbar so wenig wie möglich informiert. Es war viel von gestohlenem BSE-Fleisch aus einem EU-Lager, etwas von geflüchteten Illegalen, mehr aber von einer tiefgefrorenen, mit einem Schlachtschussapparat getöteten Frau die Rede gewesen. Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, dass die große, laute, mutige rote Karin tot war. Viel eher sah ich sie in einem wallenden Gewand in der Karibik am Strand entlanggehen, das Gesicht der Sonne zugewandt, das rote Haar leuchtend, einen langen Urlaub vor sich. Ultrakauf wurde in den Medienberichten übrigens nicht einmal erwähnt. War mir auch lieber so. Ich schien die einzige Journalistin zu sein, die über Hintergründe und Zusammenhänge Bescheid wusste. Die Story würde einigen Staub aufwirbeln.
Allerdings hatte mich der Chefredakteur angewiesen, genau darauf zu achten, dass die Supermarktkette ausschließlich als Opfer vorkam. Van der Fluh hatte mir noch am Vormittag des 24. Dezember ein Interview gegeben, in dem er sich über Betrug und Todesfälle – er vermied es strikt, von Mord zu reden – entsetzt zeigte, noch strengere Kontrollen ankündigte und ansonsten das Engagement seiner Mitarbeiterinnen, das ja letztlich zur Aufklärung geführt hatte, in höchsten Tönen lobte. Auf Karin hielt er einen rührenden Nachruf, der ihr bei Lebzeiten wohl Tränen in die Augen getrieben hätte. Zornestränen, wegen so viel Heuchelei. Oder gehörte es womöglich zum Erfolgsrezept derartiger Manager, selbst alles zu glauben, was sie so von sich gaben? Der LKW-Fahrer war ebenso wie seine Kollegen fristlos entlassen worden. Man hatte ihre Telefonnummern in den Bürounterlagen von Waldemar Zartl gefunden.
Zartl selbst saß in Untersuchungshaft und leugnete weiterhin, mit den Morden etwas zu tun zu haben. Im Sicherheitsbüro war man gerade dabei, einige Haare, die am Tatort im Lager in der Mayerlinggasse gefunden worden waren, ausführlichen Tests zu unterziehen. Schneyder hatte mir informell erzählt, dass die ersten Ergebnisse eine mehr als neunundneunzigprozentige Übereinstimmung mit Zartls Haaren gebracht hatten.
Gismo ging es wieder gut, sie biss an ihrem Verband am Hinterbein herum. Wurde sie allzu terroristisch, sagte ich ihr, dass sie eben einen Dachschaden hat. Aber ich sagte es freundlich.
Selbst das Weihnachtsessen mit meinen Eltern war friedlich verlaufen. Meine Mutter hatte Nervenkekse gebacken, sie schwamm momentan auf einer neuen Esoterikwelle. Die Kekse schmeckten wie Sägespäne, aber das musste ich ihr ja nicht sagen.
Mit Grete und Vesna hatte ich mich am zweiten Weihnachtsfeiertag im »Espresso Evi« getroffen. Die Kellnerin war auf Urlaub, der Glühwein, den der Chef fabrizierte, war grauenvoll. Grete hatte sich die Haare kurz schneiden und rotbraun tönen lassen.
Gleich würde Oskar kommen und mit mir verspätet Weihnachten feiern. Auf dem Tisch waren sieben Kerzen und die Weihnachtsgeschenke für Oskar aufgebaut: der Gutschein für das neue Spitzenlokal bei Wolkersdorf, eine Doppel-CD alter Miles-Davis-Songs, ein Designerkugelschreiber, ein Schlüssel, der zu jenem meiner Schränke passte, den ich für ihn leer geräumt hatte. Im Rohr schmorten Wachteln mit Trüffelfüllung. Die Schuldigen waren gefunden, für die, die überlebt hatten, konnte das Leben endlich wieder seinen normalen Gang nehmen.
Ultrakauf würde Fleisch verkaufen, das zwar nicht direkt von saftigen Almen kam, aber immerhin frisch und halbwegs kontrolliert war. Regionaldirektoren würden weiterhin Prämien bekommen, wenn sie die Personalkosten so niedrig wie möglich hielten. Filialleiter würden mehr verdienen, wenn sie darauf achteten, dass möglichst viel verkauft und nichts zurückgeschickt wurde. Frauen würden weiterhin um zu wenig Geld arbeiten und
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