Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
Leben, Klein Mira«, spottete er.
»Man kann es anders haben wollen. Ich hab keine besondere Lust, mit ihm zusammenzuarbeiten.«
»Spätestens zu Jahresbeginn rufst du ihn an, okay?«
»Man wird sehen. Was machst du über die Feiertage?«
»Jedenfalls keine Fleischbetrüger jagen. Wir feiern wie jedes Jahr.«
Das klang wenig animierend. Würde ich auch so reden, wenn ich zwanzig und mehr Jahre mit Oskar zusammen wäre? Wie kam ich darauf, plötzlich in so langen Zeiträumen zu denken? Wer sagte mir, dass nicht heute in einem Monat, in einem halben Jahr, in einem Jahr alles ganz anders sein würde?
Anruf bei der Wiener Nummer von rindvieh.com. Der Schreibtisch meines Kollegen war verwaist, ich konnte in Ruhe telefonieren.
»Rindvieh.com – was kann ich für Sie tun?«
Die Stimme hatte eine bayrische Klangfarbe. Vielleicht trug auch das dazu bei, dass ich zum zweiten Mal schon Rindvieh Tod komm verstand.
»Ich möchte bei Ihnen Fleisch bestellen.«
»Um welche Menge geht es denn?«
»Ich plane eine große Party«, antwortete ich vage.
»Darf ich fragen, wo? Ihre Nummer scheint in meiner Telefonanlage nicht auf.«
Mir wurde heiß. Daran hatte ich nicht gedacht, was für ein Glück, dass das »Magazin« ein Programm installiert hatte, das die Nummernanzeige bei digitalen Anlagen unterdrückte.
»Wien. Sie stellen doch auch in Wien zu?«
»Selbstverständlich, unsere Mindestabsatzmenge sind allerdings fünfundzwanzig Kilo.«
Ich schluckte. Ich hatte im letzten Monat mehr als genug Fleisch gekauft. »Das geht in Ordnung.«
Ich erfand rasch eine Liste mit Fleischstücken und fragte dann, was das kostete. Die Preise lagen mindestens dreißig Prozent unter denen im Supermarkt. Kein Wunder, wenn man gefrorenes Fleisch gegen frisches tauschte.
»Ich brauche das Fleisch erst am 28. Januar. Wann können Sie liefern?«
»Wie wäre es am 26. Januar?«
»Gut.«
»Ich brauche eine Anzahlung von zwanzig Prozent, wo kann ich Ihnen ein Überweisungsformular hinschicken?«
Sicher war sicher. »Geben Sie mir die Kontonummer.«
Ich hoffte, dass die Sache bis Ende Januar geklärt sein würde. Ansonsten musste ich langsam daran denken, selbst einen Handel mit Rindfleisch aller Art aufzumachen.
Rindvieh.com existierte also jedenfalls. Es schien, als könnte man über die Firma tatsächlich Fleisch beziehen.
Wo sollte sich Oskar mit dem LKW-Fahrer treffen? Vorausgesetzt, dieser spielte überhaupt mit. Ich hatte ein zunehmend schlechtes Gewissen, Oskar in die Ultrakauf-Geschichte zu verwickeln. Andererseits: Es war unsere größte Chance, Antwort auf einige Fragen zu bekommen, mit denen wir uns schon lange herumschlugen. Ich wollte dabei sein, wenn Oskar mit dem LKW-Fahrer redete. Nur für alle Fälle. Vielleicht schätzte Vesna den Mann falsch ein. Was, wenn er erkannte, dass ihm eine Falle gestellt wurde? Was, wenn doch er es gewesen war, der Heller ermordet hatte? In wessen Auftrag?
Ich zermarterte mir auf dem Heimweg das Hirn. Ein stiller, neutraler Platz. Ein Platz, wo man ungestört ein Tonband mitlaufen lassen und ich ungesehen mit dabei sein konnte. Wie sollte ich Oskar helfen, wenn etwas schief lief?
Unsere Wohnungen schieden aus. Oskars Büro auch. Im Sommer hätte man sich im Freien treffen können. Einem Museum. Nein, wir waren nicht in einem Film. Obwohl ich mir Oskar und den LKW-Fahrer unter einem Dinosaurierskelett oder einem Rembrandt schon gut vorstellen konnte. Der Vorteil eines solchen Ortes wäre, dass er öffentlich genug war, um drastische Aktionen zu verhindern. Aber wo hätte man ein Tonband verstecken sollen? In den Rippenbögen des Sauriers?
Ich trabte gerade die ersten Treppen zu meiner Wohnung nach oben, als mir das Naheliegende einfiel: »Espresso Evi«. Klein, verschwiegen, wenig besucht. Wenn ich jetzt noch einen Weg fand, lauschen zu können … Natürlich konnte ich an einem der Nebentische Kaffee trinken. Aber sollte unsere Inszenierung glaubhaft sein, dann musste das Gespräch im vertraulichen Rahmen stattfinden, so, dass niemand, auch nicht zufällig, mithören konnte. Es gab im »Espresso Evi« ein Extrazimmer. Ich war noch nie in diesem Raum gewesen, keine Ahnung, ob er irgendein Versteck bot.
Ich lief die Treppen wieder nach unten, die Gasse entlang, dann in die Quergasse und startete mein Auto.
Die Kellnerin im »Espresso Evi« kannte mich inzwischen gut. Sie hatte wohl schon einiges erlebt und stellte keine Fragen, als ich nach einem Platz für ein vertrauliches Gespräch
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