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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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erinnert habe«,
rief Daisy aus dem Wohnzimmer. »Der Kohlenmann, der beim Anliefern
immer diese Kappe mit dem Lederlappen hintendran getragen hat, der ihm
bis über den Nacken gefallen ist. Ganz schwarz vom Kohlenstaub war der
immer. Drei Säcke Anthrazit alle vierzehn Tage dienstags, gleich in den
Keller runtergekippt.« Sie dachte nach. »Hatte immer ein Lächeln für
mich, der Bursche. Hat mich seine kleine Blume genannt.«
    Violet schob die Tür eines Hängeschranks auf und nahm zwei
Tassen und Untertassen heraus. Sie stellte sie auf dem Küchentresen ab,
trat an den wimmernden Kühlschrank und holte die Milch aus dem
Türregal. Einen Schluck in jede Tasse, dann stellte sie die Flasche an
ihren Platz zurück.
    »Ist bei Ihnen auch immer der Scherenschleifer
vorbeigekommen?«, rief sie zurück.
    »Der Scherenschleifer? Mit seinem Fahrrad und dem Schleifstein
hinten drauf geschnallt?« Daisy gluckste in sich hinein. »Hab lange
nicht mehr an den gedacht. Was ist wohl aus dem Scherenschleifer
geworden? Müssen Scheren und Messer heutzutage denn nicht mehr
geschliffen werden?«
    »Ich glaube, heutzutage kaufen die Leute einfach neue«, meinte
Violet beiläufig, während sie die Tassen nacheinander mit Tee füllte.
    »Verschwendung«, brummte Daisy. »Deshalb gibt's auch so viel
Abfall, 's wird viel zu viel Zeugs hergestellt, und viel zu wenig wird
behalten.«
    Violet griff nach dem Tablett, das aufrecht an der Seite des
Kühlschranks lehnte. Sorgfältig hob sie Tassen und Unterteller auf das
Tablett und trug es ins Wohnzimmer.
    »Hier ist Ihr Tee«, sagte sie und stellte das Tablett
vorsichtig auf das Tischchen neben Daisy. Die alte Frau betrachtete es,
dann schaute sie zu Violet auf.
    »Vielen Dank, meine Liebe«, sagte sie mit einem plötzlichen
Zögern.
    Violet trat wieder ans Fenster und blickte hinaus. Die Haut
auf ihren Wangen und ihrer Stirn prickelte noch immer von dem
Wasserdampf, und in der Kehle verspürte sie einen leichten Druck. Und
wenn schon. Jede Straße hat ihre Schlaglöcher. Hatte ihr das nicht mal
jemand gesagt?
    Die Straße draußen war friedlich. Die meisten der Häuser waren
während des Tages menschenleer. Die Männer arbeiteten, und die
Ehefrauen arbeiteten auch: Violet fand das ein wenig befremdlich, aber
die Welt veränderte sich wohl, und die Menschen veränderten sich mit
ihr. Verheiratete Frauen blieben heutzutage so selten zu Hause.
Außerdem war noch Unterrichtszeit, und die Kinder waren in der Schule
sicher aufgehoben. Das Beste an der Straße, soweit es Violet betraf,
war, dass sie nirgends hinführte. Niemals passierten Menschen oder
Autos sie, um irgendwo anders hinzukommen. Wer in die Straße kam, der
suchte eines der Häuser auf, und das war während der Wochentage selten.
    Hinter sich hörte sie ein Schlürfen, als Daisy ihren Tee
trank. Sie lächelte.
    »Ich habe übrigens Ihre Rente von der Bank geholt«, sagte sie,
denn der Gedanke war ihr zufällig gerade gekommen.
    Als Daisy nicht antwortete, drehte sie sich um.
    Daisy starrte sie abwehrend an, die Teetasse in der Hand.
    »Das brauchen Sie nicht für mich zu tun«, sagte Daisy. »Als
ich noch mein Pensionsbuch hatte, war ich sehr wohl imstande, selber
zur Post runterzuflitzen. Und die Bank ist auch nicht viel weiter.« Sie
hielt inne, um Violets Reaktion abzuschätzen. »Wirklich, ich glaube,
ein kleiner Spaziergang würde mir nicht schaden. Wäre ganz schön, mal
wieder an die frische Luft zu kommen …«
    Violet ließ Daisys Worte in der Luft hängen und setzte eine
ausdruckslose Miene auf. Diese Diskussion hatten sie seit zwei Monaten
ungefähr einmal die Woche, es gab also keinen Grund, ärgerlich zu
werden. Die Entscheidung war gefallen, und der Fluss, welcher Leben
hieß, strömte bereits weiter, nur dass Daisy das noch nicht ganz
begriffen hatte. Oder vielleicht noch ein bisschen Hoffnung hegte, den
Flusslauf umzukehren und ein klein wenig Unabhängigkeit
zurückzugewinnen.
    »Nicht mit Ihrem Bein«, erwiderte Violet. Sie wusste, dass
Daisy ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, da das Licht durch
das Fenster hinter ihr fiel, aber sie behielt eine neutrale Miene bei.
»Die Geschwüre müssen jeden Tag neu verbunden werden. Sie wollen doch
nicht, dass sie schlimmer werden.«
    »Vielleicht sollte ich mir doch lieber mal einen Termin beim
Arzt geben lassen«, meinte Daisy einschmeichelnd. »Die Geschwüre werden
anscheinend gar nicht besser, und Doktor Ganz hat mir früher immer so
gut geholfen.« Sie seufzte.

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