Kaltgeschminkt (German Edition)
Wochen in allen Medien herumgeisterte, als er durch seine waghalsigen Spekulationen Milliarden versetzte. Und zu Weihnachten seinen – ich nenne sie mal milde „Mitarbeitern“ – ein fettes Monatsgehalt plus Gratifikation als Belohnung überwies. In seinem Brustraum steckt ein ekelhaft dickes Stück Holz mit einem Widerhaken am Ende.
Sie alle wanken unsicher umher, blanke Angst in ihren Gesichtern. Einige Wenige sind blind und stumm, wie ich vor einiger Zeit. Sie können sich zuerst aus dem Sumpf lösen. Schattenhafte dürre Gestalten halten ihnen die knochigen Hände hin, die sie prompt ergreifen. Ihre Augen sind trübe, leer. Sie sind dem Aeonum entkommen. Dass ihre Silhouetten irgendwie flüssig erscheinen, schreibe ich meinem Schockzustand zu. Sie gehören in keiner Beziehung zu den abartigen Sündern. Sie verschwinden im Staub, Hand in Hand mit ihren schimärischen Begleitern.
Ich senke den Kopf, versuche die jammernden Seelen um mich herum zu ignorieren. Nun, da ich selbst Voyeur sein kann am Schicksal der Seelen, die in Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte sind, wird etwas in mir weich und zerfließt wie Eiskristalle am Kamin. Ich bin so wie sie, und sie so wie ich. Sozusagen lebend im äußersten Kreis der drei Höllen.
James war fleißig die letzte Zeit. So viele tote Schädlinge. Künstlich verunstaltet sind manche von ihnen, so wie ich es auf James kleiner Fotoshow bewundern durfte. Groteske Kleidung ist ebenso üblich, wie die kahlgeschorenen Köpfe der Blenderinnen, amputierte Gliedmaßen von Betrügern oder die zusammengenähten Lippen von Schwätzerinnen und Intrigantinnen. Ich sehe ihre Vergehen geradezu. Manches erscheint mir zu drastisch, zu übertrieben, vieles jedoch wünschte ich, selbst in die Hand genommen zu haben.
Erneut spricht mich die brummelnde Stimme an, ein kahlköpfiger Mann, klein und untersetzt: »Hey, hey, Kumpel. Ja, du. Wo sind wir hier gelandet? Kannst du mir das mal erklären?«
Er klingt seltsam gefasst. Ich zucke die Schulter.
»Willkommen im Vorhof zur Hölle«, sage ich knapp.
»Aha.« Er sieht sich um. »Schönschön. Und was hast du hier verloren?«
Eigentlich bin ich nicht zum Plauschen aufgelegt, es lenkt mich vom Denken ab. Dennoch ahne ich, wird er keine Ruhe geben, bis er Antworten hat.
»Ich habe versucht mich umzubringen«, weiche ich aus. Schließlich geht es ihn einen Dreck an, was ich verbrochen habe. Als wenn ich das selbst wieder wüsste.
»Ein Selbstmörder. Die landen natürlich in der Hölle, wenn man den Christen glaubt«, krakeelt er. »Wenn´s nach denen geht, hat eigentlich jeder einen Arschtritt, am besten vom Gehörnten selbst, verdient. Raucher, Trinker, Ehebrecher, Frauen … diese ganzen Randgruppen eben.«
»Was ist mit dir?«, will ich genervt wissen.
Er klopft sich auf die Brust. »Ich stehe auf härtere Devianzen«, gibt er ohne Umschweife zu.
Ich seufze. Die Abnormen scheine ich anzuziehen wie ein Kackhaufen die Fliegen.
»Und was so?«
»BDSM, PVC, Gummi. Möglichst jung.«
Da haben wir schon sein Manko. Ein Kinderfreund. Dennoch stelle ich mich dumm.
»Was, der Gummi?«
Er atmet erregt aus. »Nein, die Herrinnen. Ihre hellen Stimmchen, das macht einen einfach –«
»Schon gut«, unterbreche ich ihn forsch. »Und was jetzt? Hatte eine von ihnen einen zu harten Schlag?«
Er sieht mich ungläubig an. »Nein, Mann. Das kleine Ding hat bei der Strangulation gepatzt.«
Ich platze beinahe vor Lachen.
»Deshalb sollte man Mädchen auch nur die Dinge tun lassen, die sie in ihrem Alter auch ganz legal tun sollten, du kranker Depp.«
Er sieht mich beleidigt an. Versöhnlich lehne ich mich zu ihm hinüber. »Dafür gibt es hier genau das Richtige für dich. Wenn sie dich gleich vor eine Entscheidung stellen, wähle das Chaos. Nur so als Tipp.«
Ich nicke zur Bekräftigung und er schweigt. Dann reicht er mir seine wurstige Hand. »Danke, mein Freund. Vielleicht gibt es ja doch einen Weg zum Himmel für dich.«
Das bezweifle ich ernsthaft.
»Eher weniger. Den Verein gibt es längst nicht mehr.«
»Warum nicht?«
Ich zucke die Schultern. »Lohnt sich nicht mehr wirklich.«
Wir schweigen, bis sich die Blätter vor uns plötzlich teilen. Eine schlanke Gestalt stolpert über den dunstigen Pfad. Ich blinzle hektisch, ein Schauer rinnt mein Rückgrat entlang, denn – sie flimmert. Ihre Silhouette zuckt durch den Staub, undeutlich wie eine kaputte Radiowelle. Und dennoch erkenne ich sie genau. Es ist Mina Sophie Knightley, das
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