Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
Vom Netzwerk:
gequält. »Ja. Wäre mir am liebsten gewesen.« Er schnappt krampfhaft nach Luft. »Und – ganz ehrlich, Alter – dir auch eher angemessen. Fühlst du dich jetzt unbesiegbar?«
    Eigentlich schon. Unfassbar, dass er auf seine letzten Atemzüge noch den Wunsch verspürt, sich mit mir verbal zu duellieren. Ich beschließe, ihm jedoch noch ein bisschen Frieden zu gönnen.
    » In dubio contra reo. Tut mir leid.«
    Rachelle lächelt ihn beinahe liebevoll an. Die verdammte Eifersucht steigt erneut in mir auf. Doch wenn sie erst einmal mir gehört, wenn wir zurück in Schottland sind, werde ich sie reglementieren müssen. Das Beste wird sein, sie tritt gar nicht erst aus dem Schatten meiner Nähe.
    »Bereit?«, fragt sie in den Raum hinein und ich bin mir unsicher, ob sie nun mich meint. Sanft gleitet die Spitze des Skalpells in eine ärmlich pochende Ader auf der Brust. Sofort rinnt ein feiner Blutfaden heraus, der über den Griff seinen Weg in den gierigen Rachen meiner Geliebten findet. Erst als nach wenigen Augenblicken nichts mehr kommt, zieht sie die Klinge heraus.
    »Zweihundertvierzig«, sagt sie.
    »Wie bitte?«
    Ich bin kurzfristig verwirrt.
    »Sekunden.«
    Ich stehe wie aus Stein neben dem dahinsiechenden James. Er regt sich nicht, so dass ich mir unsicher bin, ob sich das Zählen überhaupt noch lohnt. Achtsam lege ich mein Ohr an seine Lippen. Ein schwacher Atemhauch streift meine Wange. Er keucht ein wenig und zwischen zwei Luftzügen verstehe ich seine letzten Worte an mich.
    »McLiod, du Schwachsinniger. Aber du hast es verdient. Du hast sie verdient.«
    Angewidert richte ich mich auf. Inzwischen hat sich Rachelle über den Inhalt ihres Rucksacks hergemacht und hält ein kleines Etui in den Händen.
    »Ich habe lange darauf gewartet, es endlich benutzen zu können«, lächelt sie.
    Theatralisch öffnet sie den Deckel. »Zweihundertsechsunddreißig.«
    Im Inneren funkeln kleine Gerätschaften. Ein winziger Flacon mit einer winzigen Pumpe, mehrere diffuse Skalpelle, ein Fläschchen, in dem ich die gleiche Flüssigkeit erkenne wie jene, die James als Aeonum bezeichnet hat. Dazwischen die üblichen Präparationsflüssigkeiten.
    »Das Ausbluten haben wir ja schon hinter uns«, stellt sie sachlich fest. »Zweihundertsiebenunddreißig.«
    Sie bereitet sich in aller Ruhe ihren Arbeitsplatz vor, und noch ehe mir bewusst wird, was sie vorhat, bäumt sich der schwache Körper auf dem Bett kraftlos auf. Ein heiseres Krächzen kommt aus seinem Hals. Doch schnell ist seine verbliebene Kraft aufgebraucht und er kann nur mehr schockiert die Augen aufreißen. Kurz horche ich in mich hinein. Nein, keine Reue. Das Gesetz des Stärkeren. Er hat es verdient. Er oder ich. Obwohl meine Geliebte bis jetzt die ganze Drecksarbeit macht. Wir nutzen unsere Macht aus, wir setzten unsere Stärke, unsere Überlegenheit ein. Was uns noch von den auserwählten Monstren auf James Fixiertisch unterscheidet? Nichts, natürlich. Aber schließlich sind wir auch nur Menschen.
    Ich beginne langsam und besonnen. Lege die Wattebäusche bereit und festige den Halt der Instrumente in meinen Händen.
    »Zweihundertelf«, wispert Rachelle.
    Ich wende mich nun ganz James zu, richte meine nächsten fachlichen Worte jedoch an Rachelle: »Hat Herr Beastly einen Herzschrittmacher oder Katheter? Keine Ahnung? Dann wollen wir uns das Ganze gleich mal von innen ansehen.«

    Rachelle streicht satt über ihren runden, aufgeblähten Bauch. Ihr Kopf ist auf meinen Schoß gebettet. Wir haben es einfach nicht über uns gebracht, sofort mit meinem alten Leben abzuschließen. Noch ein letztes Mal wollen wir uns einen Augenblick nur für uns beide nehmen. Ich will nicht leugnen, dass ich mir vor Unbehagen am liebsten die Hosen vollmachen würde.
    Wir lümmeln in warmen Decken auf dem Diwan direkt gegenüber des Bettes, in dem James´ sterbliche Überreste ausgeblutet und kalkbleich eher einem vertrocknetem Ast gleichen. Die Fesseln liegen auf dem Fußboden, der sonderbar sauber geblieben ist. Wir sind eben beide saubere Ungeheuer. Die Nähte sind ordentlich, ebenmäßig, beinah schon ästhetisch. Ich bin absolut ruhig.
    Ich lese Mary Braddon vor, ›Lady Audley´s Secret‹ . Eine ihrer liebsten schreibenden Victorian Ladies. Rachelle atmet immer ruhiger, so dass ich manchmal denke, sie ist eingeschlafen. Dann seufzt sie gequält auf. Sie ist bis zum Rand gefüllt. Ihr ist übel. Trotzdem wandern ihre Finger unter meinem Hemd umher. Sie legt den Kopf in den Nacken und

Weitere Kostenlose Bücher