Kaltherzig
Auf einem Bild war ich selbst auf D’Artagnan, Seans hübschem, kupferfarbenem Braunen, frühmorgendlicher Nebel lag über dem Boden, sodass es aussah, als würden wir schweben.
Die interessanteren Fotos waren die von Irina und ihren Freunden, wie sie neben dem Polofeld in offenen Autos feierten. Das Stadion der International Polo Grounds erhob sich im Hintergrund. Ein Polospiel war in vollem Gange.
Keine Jeans und T-Shirts bei dieser Party. Alle hatten sich in Schale geworfen. Irina trug eine große Dior-Sonnenbrille und ein schlichtes schwarzes Schlauchkleid, das eine Menge Bein sehen ließ. Ihr Haar war zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgekämmt. Ihre Freundinnen waren ähnlich aufgemacht. Große Hüte, breites Lächeln, Champagnergläser in der Hand.
Ich erkannte keine von ihnen. Selbst wenn es andere Pferdepflegerinnen aus der Nachbarschaft gewesen wären, hätte ich sie ohne ihre Stallkleidung nicht erkannt. So ist das in der Reiterszene. Bei gesellschaftlichen Ereignissen verbringt man die erste Stunde immer damit, Leute zu identifizieren, die man sonst nur in Reithosen und Baseballmützen sieht.
Die Fotos beschränkten sich nicht auf Freundinnen. Es gab ein halbes Dutzend Aufnahmen von umwerfend gut aussehenden argentinischen Polospielern, manche waren zu Pferd, andere standen lachend auf der Erde und hatten
den Arm um eins oder mehr von den Mädchen gelegt. Ich fragte mich, ob B darunter war.
Ich berührte die Maus. Der Bildschirmschoner verschwand und gab den Blick auf die letzte Website bekannt, die Irina besucht hatte: www.Horsedaily.com .
Ohne Zögern machte ich mich mit meinen behandschuhten Händen an die Arbeit, klickte und doppelklickte, bis ich die Dateien mit den Fotos gefunden hatte. Ich hätte sie gern alle per E-Mail an mich geschickt, aber damit hätte ich mir Landry auf den Hals gehetzt. Stattdessen zog ich Irinas Digitalkamera aus der Tasche und machte einfach Bilder von den Fotos, wenn sie auf dem Schirm erschienen.
Als ich die Bilderdatei schloss, erschien der Desktop-Schirm. Das Icon von AOL lockte. Wenn ich viel Glück hatte, hatte Irina ihr Passwort gespeichert, sodass sie es nicht jedes Mal eingeben musste, wenn sie sich anmeldete. Sie wohnte allein. Es gab keine neugierigen Mitbewohner, vor denen sie sich schützen musste.
Ich klickte auf »Anmelden« und wurde umgehend mit der Begrüßung von AOL und der Nachricht, dass Irina Post hatte, belohnt. Post, die ich nicht öffnen durfte, da nach Irinas Tod niemand mehr an diesem Computer hätte sein dürfen. Es mussten neue Nachrichten bleiben. Aber ich zog einen Notizzettel aus der Schublade und notierte mir die Adressen der Absender.
Der Zugang zu gespeicherter Post war eine andere Geschichte. Ich holte sie auf den Schirm, öffnete alles, was aus den drei Tagen, bevor ich Irina zuletzt gesehen hatte, stammte und druckte es aus. Später würde ich sie dann sorgfältig durchgehen und nach Zeichen und Vorankündigungen
des Unheils Ausschau halten, das kommen sollte. Jetzt hatte ich dafür keine Zeit.
Auf dem Schreibtisch stand auch ein Korb mit Briefpost. Ein Gutscheinheft für Bed Bath & Beyond, eine Arztrechnung, das Angebot, einem Fitnessclub beizutreten. Name und Adresse des Arztes schrieb ich auf die Rückseite einer der E-Mails.
Das Licht am Anrufbeantworter blinkte, aber so gern ich die Nachrichten abgehört hätte, ich konnte es nicht, ohne mich zu verraten, aus denselben Gründen, aus denen ich ihre E-Mails nicht aufmachen durfte. Was ich jedoch tun konnte, war, mir die Nummern der neuen Anrufer anzusehen.
Die Anzeige in dem kleinen Fenster zeigte mir, dass Irina vier Anrufe in ihrer Abwesenheit erhalten hatte. Mit der Kugelschreiberspitze berührte ich die Taste, um die Liste durchzugehen und notierte die Nummern. Zwei waren lokal, eine schien aus Miami zu sein, eine war unbekannt , eine unterdrückte Nummer. Alle stammten vom Sonntag, der letzte war um 23.32 Uhr verzeichnet. Ein Anruf von Lisbeth Perkins.
Ich fragte mich, was die Anrufer empfinden würden, wenn sie erfuhren, dass Irina tot war, vielleicht schon tot gewesen war, als sie bei ihr angerufen hatten.
Wer waren ihre Freunde? Hatte sie Angehörige? Stammte einer dieser Anrufe von jemandem, den sie liebte?
Für I. Von B.
Ich durchsuchte die Schublade nach einem Adressbuch, fand aber keins. Irina war handysüchtig gewesen. Ich stellte mir vor, dass sie relevante Adressen und Telefonnummern in ihm und/oder ihrem Computer gespeichert hatte.
Das Handy -
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