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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Geliebter gehen ein seltsames Bündnis zur Vermenschlichung der Maschinen ein, wenn die User sagen: Komm schon, Baby. Es war schon früher so, dass Maschinen anthropomorphe Liebkosungen angezogen haben, der Bogen Odysseus’ war in der Hand des Helden schon lebendig, wer je sein Auto streichelte oder küsste, erkannte den Motor der modernen Liebe. Aber erst der Computer ist wirklich dort: genau zwischen den Stühlen, mitten im Schattenreich der maschinellen Persönlichkeiten. Die Sprache wünscht sich mehr Eindeutigkeit, sie fiebert die emergenten Intelligenzen herbei, die aus dem Tango von Hard- und Software entstehen sollen, damit endlich ihre Schande getilgt ist, mit diesen Zwittern da nicht fertig zu werden. Der Sprache fehlen die rechten Begriffe für die digitalen Zombies, die unsere digitalen Zuckerrohrplantagen abernten, die Fähigkeiten der Computer fallen in ihre ratlosen Zwischenräume.

Unreal Tournament

    Warum langweilt mich das Spielen am Computer so sehr? Ich mag Computer, aber keine Computerspiele. Vielleicht bin ich ja nur vorgeprägt durch meine negativen Erfahrungen als Jugendlicher. Damals konnten meine Freunde auf den öffentlichen Konsolen schon alles, was es mit “Donkey Kong” zu können gab, ich verbrauchte meine vielfachen Leben und meine magischen Kräfte am Bildschirm viel zu schnell, und galt deswegen bald als Videospiel-Depp. Ich war ja auch noch zu jung. Ich durfte nicht mal Colabier trinken. [20]
    Um die Wahrheit zu sagen: Das nächste Level interessiert mich nicht. Ich hab es oft und oft versucht, nicht nur mit Donkey Kong, sondern auch noch mit “Super Mario”, “Riven”, “Floyd”, “Unreal” und “Pax Imperia”, und nach zwei Stunden war jedesmal der Dampf raus. Das Lustigste, was ich je bei einem Computerspiel erlebte, war ein Zwischenfall bei “Half life”: Ich schlug aus Frustration so oft mit einem Stemmeisen auf einen Getränkeautomaten ein, bis er explodierte, und auf dem Bildschirm die Meldung erschien, ich sei tot. Wenn ich die tolle Grafik bewundert habe, hat das Spiel für mich seinen Reiz verloren.
    Ich fühle mich ein wenig sündig. Ich mag keine Computerspiele.

Die vergoldete Schreibmaschine

    Thaddäus Troll schrieb einmal, dem Schriftsteller sei die allgemeine Teilnahme an den zyklischen Innovationshysterien der Industrie verwehrt. So sehr man ihn auch zu einer Art Kleinunternehmer machen wolle, er habe ja nichts als die Wörter und eine Schreibmaschine. Die könne er sich vielleicht noch vergolden lassen, aber dann sei es auch schon Essig mit dem Investieren.
    Wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Der Künstler, der angeblich nur in die Modernität seiner Texte investieren soll, hat sich in den modernisierungsdepperten Kleinunternehmer schlechthin verwandelt. Es fing damit an, dass die Verlage die Texte möglichst auch auf Diskette haben wollten, unentgeltlich selbstverständlich und in einem kompatiblen Format bitteschön. Aber auch das ist schon lange wieder Schnee von gestern. Heute sehen Verlage und andere Verwerter mit ihren Forderungen nach Disketten schon schwer alt aus, weil sie als große Institutionen und Firmen mit der technischen Agilität ihrer Contentprovider nicht mehr mithalten können. Die haben sie in vorauseilendem Gehorsam einfach überholt.
    Denn heute ist an vielen Autoren nichts modern als ihre Ausrüstung. Modem oder doch lieber DSL? Welches Mailprogramm? Welcher Browser? Datenbanken kostenpflichtig abonnieren, oder darauf hoffen, dass irgendwer die Information schon ins Netz gestellt hat? Was mag wohl die beste Suchmaschine sein? Wenn ein Roman von 300 Seiten nirgendwo gedruckt wird, soll ich daraus ein book on demand machen? Oder ihn gleich als PDF-Datei auf meiner eigenen Homepage zum freien oder kostenpflichtigen Download anbieten?
    Diese Fragen sollten für einen modernen Schriftsteller geklärt sein, bevor er die erste Taste anschlägt. Während ich vor zehn Jahren noch misstrauisch beäugt wurde, als ich Gedichte auf einem Computer schrieb und gar vom Bildschirm ablas, könnte ich damit heute höchstens noch im Tübinger Hölderlinturm Befremden auslösen. Anderswo würde sich das Publikum fragen, warum ich nicht auch noch dazu singe und wo eigentlich die Multimedia-Performance bleibt.
    Nur in den seltensten Fällen ist der technische Overkill das Ergebnis reiner Angeberei. Die jämmerliche Ausstattung vieler Bibliotheken, der Wegfall von Korrektur und Lektorat bei den Verlagen, der Zwang, die

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