Kaltstart
Aufmerksamkeitsökonomie zu bedienen, und für die Neuerscheinung überall dort zu werben, wo es eben nur geht, haben den Schriftsteller in eine Ein-Mann-Medien-Agentur verwandelt, die ihre eigenen Produkte herstellt und vermarktet, in Konkurrenz mit Tausenden anderen ihrer Art. Die wendigsten von ihnen sehen aus wie Olympiasportler, die für den digitalen Zehnkampf voll gerüstet sind. Man kann sie über E-Mail, SMS, Handy, ISDN-Telefon, Fax und sogar auch noch über die Deutsche Post AG erreichen.
Natürlich dürfen sie nicht nur passive Rezipienten des Trends sein. Sie haben eine Homepage, sie versenden einen eigenen Newsletter, sie abonnieren zwanzig verschiedene Literaturnewsletter von anderen, klappern immer das Internet nach neuen Ausschreibungen für Literaturpreise ab, und sind 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr mit ihrem Bauchladen am Markt präsent.
Und das ist nicht nur für den Buchautor wichtig, sondern vor allem für den Buchautor als Journalisten. Denn wer würde es selbst als reiner Feuilletonist noch wagen, einen Artikel über die entlegensten literarischen Themen zu schreiben, ohne wenigstens im Groben über die aktuelle wirtschaftliche Lage informiert zu sein? Nachrichten sind Halbfertigprodukte, und wer aus diesen Halbfertigprodukten keine Geschichten, ja nicht einmal Metaphern machen kann, braucht gar nicht erst anzutreten.
Eine einfache Computerisierung reicht längst nicht mehr aus. Wer öfter zu Lesungen oder anderen obskuren Veranstaltungen des Kulturbetriebs unterwegs ist, wird sich früher oder später danach fragen, wie er die Reisezeit besser ausfüllen kann als durch Lesen. Lesen ist gut, denn es sorgt für die Akquise von Halbfertigprodukten, aber man muss auch etwas damit machen. Zwar ist das Problem der Texteingabe für wirklich tragbare Computer noch immer nicht völlig gelöst, aber auf die geniale Idee, die es lösen wird, können die Praktiker von heute nicht warten. Man nimmt, was man kriegt und was das Gepäck nicht allzu sehr beschwert, und manche der neueren multifunktionalen Handhelds sind, was die mannigfaltigen Kommunikationsmöglichkeiten angeht, wie geschaffen für den modernen TXT-Geek. Dass das ganze Geraffel alle zwei Jahre ausgetauscht werden muss und deswegen eigentlich besser im Abonnement bezogen würde, versteht sich von selbst.
Weil Schriftsteller also schon Ich-AGs waren, bevor es den Begriff überhaupt gab, gehörten sie zu den ersten, die die spezifischen Nachteile der neuen Wendigkeit am eigenen Leibe erfuhren. Sicher, alles geht schneller. Also auch die Niederlage. Eine der merkwürdigsten Konsequenzen der Computerisierung des Schreibens für den Schriftsteller ist die, dass er sich jetzt täglich und viel schneller den Frust holen kann, der früher nur einmal im Vierteljahr ins Haus stand. Mit der behäbigen Papierpost kamen die Absagen langsamer und seltener, per E-mail wird einem die Kränkung viel schneller hingehauen. Die Form-Absagebriefe von früher waren tödlicher, endgültiger, amtlicher, sie kamen mit einem echten Briefkopf und quasibehördlichem Ernst daher. Die heutigen Absagen gehen im Nu, es kostet ja auch nichts, möglicherweise schickt man sie auch nur an den Agenten, der sie weiterreicht. Was früher mit langer Klinge in die Seele stach, piekst heute nur noch wie eine Nadel, dafür ungleich öfter, weil das Manuskript ungleich öfter verteilt worden ist, und die Antworten ungleich schneller kommen. Früher wurde kaum ein Schutz aufgebaut, denn man brauchte ihn so selten. Der Brief kam, und man hasste die Welt eine Zeit lang, bevor man sein Selbstmitleid überwand und weiterschrieb. Heute, im Sandstrahlgebläse des Marktes, erinnert die seelische Hornhaut des Schriftstellers an die eines Zeitschriften-Drückers.
Auch dass sich der Autor-Leser-Kontakt durch die Modernisierung des Autorendaseins verändert hat, kann nicht geleugnet werden. E-Mail-Kommentare zu einem neuen Buch zu bekommen, kaum, dass es in den Buchhandlungen steht, ist etwas anderes als sich bei der Signierstunde mit der Schüchternheit von jungen Lesern herumzuschlagen, die Kontakt aufnehmen wollen, aber nicht recht wissen, wie. Gleichzeitig bietet das Medium E-Mail Besserwissern eine hervorragende Möglichkeit, ihr Talent voll auszuleben, was sie im persönlichen Kontakt, per Brief oder Telefonanruf nie wagen würden.
Und selbstverständlich sind nicht alle Verwerter so verschnarcht wie die, die noch auf ihrer Diskette beharren. Es gibt durchaus welche,
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