Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
Vom Netzwerk:
Anschein erwecken will, es gebe keine Alternative, wie Margaret Thatcher in den 1980er Jahren bekanntermaßen verkündet hatte. Mit anderen Worten, es wird erst gar nicht mehr ernsthaft versucht zu argumentieren, dass es sich bei der heutigen Wirtschaftsordnung um eine gute, gerechte und vernünftige Ordnung handle. Es wird auch nicht mehr behauptet, das System sei sehr wohl in der Lage, irgendwann eine Welt hervorzubringen, in der die meisten Menschen sich frei und sicher sowie materiell in der Lage fühlen, sich während eines nennenswerten Teils ihres Lebens den Dingen zu widmen, die sie für wirklich wichtig halten. (Es handelt sich im Gegenteil um ein schreckliches System, in dem noch nicht einmal die allerreichsten Länder in der Lage sind, die Grundversorgung der Mehrheit ihrer Bürger, etwa in Bezug auf Gesundheit oder Bildung, zu gewährleisten.) Es heißt jetzt schlicht, das System funktioniere zwar nur unzureichend, doch alle anderen Systeme würden im Gegensatz dazu überhaupt nicht funktionieren. (Es ist faszinierend, wie schnell sich
etwa gegen Ende des Kalten Kriegs die Wortwahl verändert hat, mit der die Sowjetunion beschrieben wurde. Natürlich würde niemand, der noch ganz bei Trost ist, ein solches System wiederaufbauen wollen, und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird dieser Fall zum Glück auch nie eintreten. Interessant ist dennoch, dass sich die Sprachregelung praktisch über Nacht verändert hat. Zuerst hieß es, eine von oben verordnete Planwirtschaft ohne irgendwelche Marktkräfte könne mit den fortschrittlichsten kapitalistischen Mächten weder in militärischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht mithalten. Dann wurde nur noch abschätzig und im Brustton der Überzeugung beteuert, dass der Kommunismus »einfach nicht funktioniere« – was im Grunde heißt, dass es ein solches System nie gegeben haben konnte. Eine erstaunliche Aussage, wenn man sich einmal vor Augen hält, dass die Sowjetunion tatsächlich existierte, und zwar fast 70 Jahre lang. Außerdem hat sie Russland in wenigen Jahrzehnten von einem rückständigen Agrarstaat in eine militärische und technologische Großmacht verwandelt.)
    In den Jahren kurz vor und kurz nach dem Ende des Kalten Kriegs blieb der wahre Charakter des neoliberalen Kapitalismus noch weitgehend verborgen. Damals hielten sich übertrieben enthusiastische neoliberale »Reformer« für Revolutionäre, und jeder glaubte, dass aus den Armen der Welt mithilfe von Mikrokrediten erfolgreiche Unternehmer werden würden. In den darauffolgenden Jahren wurde das neoliberale Projekt jedoch auf das reduziert, was es im Kern schon immer war: mitnichten ein wirtschaftliches Projekt, sondern im Gegenteil ein politisches Projekt, das darauf abzielte, die Fantasie der Menschen vollständig zu zerstören. Im Rahmen dieses Projekts wurde bereitwillig in Kauf genommen, die kapitalistische Ordnung – mittels umständlicher Verbriefungen und
irrsinniger militärischer Vorhaben – gleich mit zu vernichten, falls dies nötig werden sollte, um das neoliberale Projekt als unvermeidlich darzustellen. Hinter unserem Gefühl der Hilflosigkeit steht somit eine gigantische und ungeheuer teure Maschine, die das heutige System mit großer Wahrscheinlichkeit unter ihrem eigenen Gewicht zerschmettern wird.
    Im letzten Essay dieser Gruppe, Revolution rückwärts , werden die Risiken dieses Kriegs gegen die Fantasie auf einer noch tiefgreifenderen Ebene betrachtet. Dieser Aufsatz hat eine merkwürdige Vorgeschichte. Ursprünglich war der Text für eine Sonderausgabe der Zeitschrift New Left Review in Auftrag gegeben worden, wobei der Herausgeber aktiv an der Strukturierung des Essays beteiligt war. Ein Jahr später wurde der Aufsatz jedoch kurzerhand abgelehnt, und mir wurde nicht einmal Gelegenheit gegeben, mich zu den Kritikpunkten zu äußern. (Tief im Innern sind die Herausgeber der New Left Review Aristokraten und berüchtigt für diese Art von selbstherrlichem Verhalten.) Der einzige Kommentar, den ich erhielt, war – natürlich nicht genau in diesen Worten, aber fast –, dass es sich für englischsprachige Autoren nicht zieme, eigene theoretische Konzepte zu entwickeln; dies solle man besser deutsch-, italienisch- oder französischsprachigen Theoretikern überlassen. (Unsere Funktion besteht anscheinend schlicht darin, diese Theorien entsprechend zu kommentieren.)
    Wie auch immer, ob es mir nun zusteht, theoretische Überlegungen anzustellen oder nicht, jedenfalls tat ich

Weitere Kostenlose Bücher