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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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in diesem Aufsatz genau das. Vorausgegangen war diesen Überlegungen ein jahrelanges Engagement innerhalb des Direct Action Network und anderen anarchistisch orientierten Gruppen. Diese Arbeit brachte mich dazu, über einen weiteren Aspekt nachzudenken, der unter heutigen Radikalen offenkundig für Verzweiflung sorgt: Was ist nur aus der guten alten Revolution
geworden? Über weite Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts hegten in Ländern wie den USA oder Deutschland selbst die Kapitalisten den begründeten Verdacht, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis man sie am nächsten Baum aufknüpft. Heutzutage können sich die wenigsten Revolutionäre ein solches Szenario vorstellen. Doch was bedeutet es dann in unserer heutigen Zeit, Revolutionär zu sein? Die alte apokalyptische Version von Revolution – inklusive siegreicher Straßenschlachten, spontaner Volksfeste, der Schaffung neuer demokratischer Institutionen und letztlich der Neuerfindung des Lebens selbst – hatte sich irgendwie nie richtig verwirklichen lassen. Es gibt auch keinen besonderen Grund zu glauben, dass sie jemals möglich gewesen wäre. Natürlich haben die Menschen nie aufgehört, davon zu träumen, und es ist auch nicht anzunehmen, dass solche Träume je verschwinden werden. Es geht vielmehr darum, ob wir überhaupt eine Chance haben, eine lebenswerte Welt zu schaffen. Wir dürfen uns die Revolution nicht mehr nur ausschließlich in einem nationalstaatlichen Rahmen vorstellen – wie die Anarchisten nicht müde werden zu betonen. Noch viel wichtiger ist allerdings, wie wir miteinander umgehen, während wir die Revolution vorbereiten, vor allem in den weniger aufregenden und romantischen Momenten. Dies wird besonders von den Feministinnen immer wieder betont. Doch unabhängig davon, wie der endgültige taktische Sieg dann wirklich aussehen mag, sind wir zumindest schon dabei, die einzelnen Puzzleteile neu zu ordnen. Die großen Mobilisierungen in Seattle, Prag oder Genua, aber auch die andauernden direkten Aktionen an Orten wie Griechenland, Chiapas oder Südkorea haben im Prinzip so funktioniert, dass zwar alle bekannten Phasen der Revolution durchlaufen wurden, die traditionelle Reihenfolge jedoch schlicht auf den Kopf gestellt wurde. Um die gesamte
Tragweite dieser zeitlichen Umkehrung zu verstehen, ist es erforderlich, noch einmal intensiv und in kreativer Weise zu überdenken, was Begriffe wie Gewalt, Entfremdung oder »Realitätssinn« tatsächlich bedeuten.
    Die folgenden zwei Aufsätze scheinen zunächst völlig andere Themen aufzugreifen, doch im Grunde verfolgen auch sie ein ganz ähnliches Anliegen. Beide suchen nach erlösenden Elementen in vermeintlichen Abgründen, was im ersten Fall vielleicht eher ersichtlich wird. Der Essay Armee der Altruisten ist direkt aus dem Gefühl einer hoffnungslosen intellektuellen Frustration heraus entstanden. Als ich am Mittwoch, dem 3. November 2004, aufwachte, musste ich erfahren, dass George W. Bush als Präsident der Vereinigten Staaten wiedergewählt worden war. Anscheinend war es bei dieser Wahl sogar mit rechten Dingen zugegangen. An diesem Tag sollte ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit dem Titel »Anthropologie und klassische Gesellschaftstheorie« ein Graduiertenseminar an der Yale University abhalten. Das Thema an diesem Morgen wäre gewesen »Die Religionstheorie von Max Weber«. Aber keinem war so recht danach. Stattdessen artete das Seminar in eine langwierige und teils qualvolle Diskussion darüber aus, ob Gesellschaftstheorie an sich überhaupt relevant sei. War das, womit wir uns beschäftigten oder wofür wir ausgebildet wurden, überhaupt sinnvoll? Verschaffte uns »die Theorie« wirklich einen besseren Überblick über das, was soeben geschehen war? Reichte nicht einfach der gesunde Menschenverstand aus, um zu verstehen, was sich da gerade ereignet hatte, insbesondere, warum so viele Menschen aus der Arbeiterklasse in einer Weise gewählt hatten, die ihren eigenen Klasseninteressen diametral entgegengesetzt schien? Und falls die Theorie dies nicht leisten konnte, welchen Zweck hatte es dann überhaupt noch, eine akademische Laufbahn
anzustreben? Es gelang uns nicht, zu irgendwelchen aussagekräftigen Schlussfolgerungen zu kommen (obwohl die Debatte zum Ende hin eine interessante Wendung nahm und wir schließlich darüber diskutierten, ob es nicht möglich sei, die US-amerikanische Landmasse in separate Territorien aufzuspalten und etliche Gebiete mit Kanada und andere

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