Kampf der Gefuehle
das Licht aus dem Kompasshaus und das Sternenlicht gemildert wurde, auf sie niederfuhr. Selbst der kurze Blick, den sie zum Ufer geworfen hatte, reichte aus, Sascha einen gefährlichen Vorteil zu verschaffen. Sie parierte seinen Schlag und ging unmittelbar darauf zum Gegenangriff über, bei dem es ihr gelang, den Schoß seines Gehrocks aufzuschlitzen, bevor sie blitzschnell zurückwich und sich in Sicherheit brachte.
Allmählich wurde sie müde. Das Laudanum hatte sie stärker geschwächt, als sie angenommen hatte, und sonderlich kampferprobt war sie nach zwei kurzen Wochen auch nicht. Ihre Schulter schmerzte, ihr Ellbogen brannte, und ihr Handgelenk vermochte sie kaum noch zu spüren. Trotzdem griff Sascha, ein wahrer Stier von einem Mann, wieder und wieder an.
Sie wollte ihn nicht töten. Er war ein gefühlloser, arroganter, tölpelhafter Schwachkopf, aber trotzdem hatte er sich auf seine Weise ihr gegenüber treu gezeigt. Sie kannte ihn schon so lange, wusste, wie sehr es ihn schmerzte, aus seinem Heimatland verbannt zu sein, wie sehr er die Familie, die er hatte zurücklassen müssen, vermisste — seine Onkel und Cousins, seine kleine Schwester wie auch seine Eltern. Sie kannte seinen Geschmack in der Musik und beim Essen, wusste, was ihn zum Lachen brachte und dass er bei einer tragischen Oper manchmal eine Träne vergoss. Sie hatte erlebt, wie er sich mit russischem Wodka betrunken hatte und wie er galant geworden war, als er Champagner geschlürft hatte. Sie wollte seinen Tod nicht herbeiführen. Doch wie sollte sie es sonst schaffen, ihm zu entfliehen?
Diese Erkenntnis zerrte an ihr, nahm ihr die Kraft, dämpfte ihren Eifer und erfüllte sie mit Verzweiflung.
Ein Gemurmel ging durch die Zuschauer, die auf einen Punkt starrten, der sich links hinter ihr befand. Sie konnte sich nicht umdrehen, um nachzusehen, da Sascha von neuem auf sie losstürzte. Flink zog sie sich zurück und wich seinen Schlägen aus. Was auch immer die Aufmerksamkeit der anderen erregt haben mochte, Sascha hatte es offenbar ebenfalls gesehen, denn er verdoppelte seine Anstrengungen. Mit wilden Hieben und Stößen setzte er ihr nach, zwang sie, zurückzuspringen und sich hin und her zu drehen, so dass sie es kaum wagte, darauf zu achten, wo sie hintrat.
Ihr Fuß trat auf ein zusammengerolltes Tau und verlor den Halt. Mt dem linken Arm rudernd, taumelte sie zurück und verlor, während sie einen lauten Schrei ausstieß, das Gleichgewicht.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Gavin schickte Nathaniel los, um die Bruderschaft zusammenzurufen, das heißt, von Haus zu Haus zu laufen und Nicholas, Caid, Rio und Croquere Bescheid zu sagen sowie jedem anderen Fechtmeister, der bereit sein würde, ihm bei der Suche nach Ariadne zu helfen. Vielleicht machte man sie ja noch in irgendeinem Geschäft ausfindig, wo sie Spitze betastete oder Süßigkeiten kaufte, aber das war höchst unwahrscheinlich. Überdies war Maurelle keine leicht erregbare Person. Wenn das Verschwinden ihres Gasts sie alarmierte, gab es einen Grund dafür.
Seine Freunde trafen einer nach dem anderen ein, mit ernsten Gesichtern und voller Entschlossenheit. Nathaniel kam nicht mit ihnen zurück. Trotz aller Hektik bei der Organisation der Suche fiel Gavin seine Abwesenheit auf. Es sah dem Jungen gar nicht ähnlich zu verschwinden, wenn er gebraucht wurde. Doch Gavin hatte keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Am allerwichtigsten war es jetzt, herauszufinden, was Maurelle über Ariadnes Aktivitäten wusste.
Herzlich wenig. Ihrer Gastgeberin zufolge war sie vor einigen Stunden ausgegangen, ohne zu sagen wohin und ohne ein Dienstmädchen oder eine andere Begleitung mitzunehmen. Solon hatte sie gehen sehen, konnte jedoch nur sagen, dass sie ein graues Kostüm sowie die Haube, die man gefunden hatte, getragen hatte und offenbar in Eile gewesen war. Sie war zu Fuß gegangen und hatte ein Retikül am Handgelenk getragen.
»Sie hat Ihnen nicht gesagt, was sie vorhatte?«, fragte Gavin mit gerunzelter Stirn.
Solon, der neben Maurelles Stuhl stand, schüttelte den Kopf. Maurelle machte eine hilflose Geste und starrte mit rotgeränderten Augen zu ihm hoch. »Heute Morgen nach dem Frühstück war sie so still und hat sehr wenig gesagt. Aber andererseits war sie ja seit ihrer Rückkehr aus Paris ohnehin nicht sonderlich mitteilsam. Irgendetwas hat ihr auf der Seele gelegen. Ich hatte zwar meine Vermutungen, was es sein könnte, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, sie zur
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