Kampf um die Sonne (Orion 05)
restlos entschlüsselt?« fragte Villa in die Dunkelheit des Raumes hinein. Seine Stimme klang wie immer kühl und gelassen. Er schien von dem, was er sah und hörte, nicht beeindruckt zu sein. Diese Meinung war grundfalsch – Villa vermochte seine Reaktion hervorragend zu kontrollieren.
Dr. Schiller war von den beiden Fotos zurückgetreten und stand an der Schmalseite des Tisches. Er betrachtete Wamsler und Villa. Wamslers breites und dunkles Gesicht war verkniffen und angestrengt; der Mann bemühte sich, die Beobachtungen zu analysieren. Villa hatte es offensichtlich bereits geschafft – seine Augen waren halb zusammengekniffen; er machte einen schläfrigen fast gelangweilten Eindruck.
»Nein. Sie sind noch im Institut«, erwiderte der älteste der Wissenschaftler.
»Können Sie jetzt schon etwas sagen?« fragte Oberst Villa, der Chef des Galaktischen Sicherheitsdienstes, der Vorgesetzte von Tamara Jagellovsk.
»Schon vor der endgültigen Auswertung des Materials, das die ORION VIII mitgebracht hat, glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu können, daß hier auf N 116 A gewisse Zusammenhänge nicht zu leugnen sind.«
Wamslers Stimme schallte durch den Raum. Laut und grollend, ein Baß mit einem leichten Einschlag von Heiserkeit.
»Welche Zusammenhänge? Zusammenhänge womit?«
Dr. Schiller sprach weiter.
»Sehen Sie, Marschall Wamsler«, sagte er ruhig, »wir machen seit Monaten merkwürdige Beobachtungen. Sie beunruhigen uns sehr. Eine davon ist inzwischen bereits den Redakteuren von Boulevardblättern und dem Fernsehen aufgefallen: Die unnatürliche Hitze, die seit Monaten andauert und in keinerlei Verhältnis zu den irdischen Jahreszeiten steht.«
»Ja«, erwiderte Marschall Wamsler, »das ist bekannt. Hätten wir nicht vor dreißig Jahren einen Großteil der Wohnbauten und fast alle Verwaltungsstellen unter Wasser verlegt, es wäre nicht zu ertragen.«
»Es ist Ihnen sicher bekannt«, sagte Dr. Schiller, »daß die Temperaturen in den nördlichen und südlichen Eismeeren der Erde unaufhörlich ansteigen.«
Wamsler und Villa nickten schweigend.
»Die Pole schmelzen langsam ab, die Gletscher der Gebirge geben gigantische Mengen von Schmelzwasser ab. Wir tun unser Bestes, aber wir werden mit einer Überschwemmungskatastrophe von riesigen Ausmaßen rechnen müssen.«
»Zum Teufel«, warf Wamsler schweratmend ein, »das muß doch eine klar erkennbare Ursache haben?«
»Ja«, sagte Dr. Schiller nachdenklich. »Es gibt eine Ursache, aber wir können sie nicht beseitigen. Der Energiehaushalt der Sonne ist gestört. Und zwar sehr empfindlich gestört.«
Marschall Wamsler versuchte sich vorzustellen, was auf oder in der irdischen Sonne vorging.
»Können Sie das präzisieren?« fragte er den Chefwissenschaftler.
»Natürlich«, erwiderte Dr. Schiller.
»Die Sonnenstrahlung ist nichts anderes als eine allmähliche Umwandlung eines Teiles ihrer Masse in Energie.«
»Das habe ich begriffen«, sagte Oberst Villa.
»Die vier Elementarteilchen, aus denen die Heliumkerne bestehen, also zwei Protonen und zwei Neutronen, ergibt einen Massendefekt von sieben Zehnteln Prozent. Dieser Prozeß, der dauernd abläuft, stellt den größten Anteil der Sonnenenergie dar. In einer Sekunde werden im Sonneninnern etwa 700 Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium umgewandelt. Der Massenverlust der Sonne infolge ihrer Abstrahlung beträgt rund 4,3 Millionen Tonnen pro Sekunde.«
»Soweit reichte meine Allgemeinbildung gerade noch«, sagte Wamsler. »Aber was geschieht jetzt? Gibt die Sonne mehr Energie ab, verringert sich ihre Masse noch schneller als sonst?«
»Ja«, sagte Dr. Schiller einfach.
»Wie?« fragte Oberst Villa rasch.
»Sie haben mich richtig verstanden«, erwiderte der Chefwissenschaftler. »Seit rund drei Jahren steigert sich der Massenverlust der Sonne. Sie gibt heute bereits 7 Millionen Tonnen ab. Pro Sekunde!«
»Das ist verblüffend!« sagte Wamsler und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Ungerührt fuhr Dr. Schiller weiter in seiner Aufzählung fort:
»Die normale Dauer einer Protuberanz, deren Eruptionen in der Chromosphäre der Sonne zwischen zehn und fünfundvierzig Minuten betragen, ist erweitert. Wir maßen Eruptionen von hundertzwanzig Minuten Dauer.«
Wamsler starrte wieder das rechte, dann das linke Bild an und fragte mit seiner schweren Stimme:
»Und was bedeutet das praktisch für uns? Was können wir tun, was sollten wir tun?«
»Wenn die Entwicklung so weitergeht«, sagte Dr.
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