Kanada
Zeugnis des aufrichtigen, treuen Dienstes …«) und dachte, was da steht, stimmt nicht. Ich erwog, sie mitzunehmen, als ich abgeholt wurde. Aber dann habe ich nicht mehr dran gedacht und sie einfach in unserem leeren Haus hängen lassen, sollte sich ruhig irgendwer darüber lustig machen und sie am Ende in den Müll schmeißen.
Was mein Vater machte – und das steht in der Chronik meiner Mutter (»Chronik eines Verbrechens, begangen von einem schwachen Menschen« lautete ihr Titel, vielleicht hatte sie ihre Geschichte eines Tages veröffentlichen wollen) –, was mein Vater machte, während er erfolglos versuchte, Oldsmobiles und dann Dodges zu verkaufen, und schließlich Gebrauchtwagen und -motorräder an Flieger vertickte, war Folgendes, er kontaktierte die Indianer aus der Gegend südlich von Havre und versuchte, das Geschäft mit Rinderhälften wiederzubeleben. Er war überzeugt, die Indianer hätten einen profitablen Abnehmer für ihr Produkt verloren, und wenn er eine Person oder einen Ort auftäte, wo ihr Fleisch zukünftig hingeliefert werden könnte, liefe das Ganze wieder, und sogar noch besser, weil die Air Force nicht in die Sache verwickelt wäre und er seinen Gewinn mit niemandem teilen müsste. Hätte dieser drittklassige, unüberlegte Plan nicht unser ganzes Leben verändert, er wäre zum Lachen gewesen: unser Vater und unsere kleine, strenge jüdische Mutter in ihrem bescheidenen gemieteten Haus in Great Falls, diese unglückseligen Indianer und die gestohlenen Kühe, die sie mitten in der Nacht in einem alten Sattelschlepper schlachteten. Der gesunde Menschenverstand hätte gebieten müssen, die Finger von der Sache zu lassen. Aber keiner verfügte über gesunden Menschenverstand.
Als meinem Vater aufging, dass er nicht genug Geld für den Lebensunterhalt unserer Familie verdienen würde, während er lernte, wie man Farms und Ranches verkaufte – trotz seinen 280 Dollar Pension von der Air Force und dem Gehalt meiner Mutter von der Schule in Fort Shaw –, ging er auf die Suche nach möglichen Neukunden für gestohlenes Rindfleisch, gegenüber denen er als Hehler auftreten konnte. Viele Kandidaten gab es nicht in Great Falls, das wusste er. Das Columbus Hospital. Das Rainbow Hotel – wo er niemanden kannte. Ein oder zwei Steakhouse-Clubs, von denen er vielleicht wusste, die aber unter Beobachtung der Polizei standen, wegen illegaler Glücksspiele. Schließlich verfiel er auf die Eisenbahn, die Great Northern Railway, deren Western-Star-Passagierzug auf seinem Weg nach Seattle durch Great Falls kam, dann erneut, zwei Tage später, auf dem Rückweg nach Chicago. Dort gab es einen stetigen Bedarf an hochwertigem Essen für den Speisewagen, hin wie zurück. Unser Vater glaubte, der Lieferant für erstklassiges Rindfleisch könnte er sein, eben in Zusammenarbeit mit den Indianern aus der Nähe von Havre. Er kannte einen Flieger, der mal Enten und Wildgänse und Wild an einen Schwarzen verkauft hatte (alles illegal), einen Oberkellner im Speisewagen. Diesen Schwarzen besuchte unser Vater in seinem Haus in Black Eagle und schlug ihm den Handel vor.
Der Schwarze – er hieß Spencer Digby – stand dem Angebot aufgeschlossen gegenüber. Er hatte über die Jahre schon einige solche Betrügereien mitgemacht und keine Angst davor. Die Eisenbahn war offensichtlich nicht viel anders als die Air Force. Ich weiß noch, wie mein Vater an einem Nachmittag in blendender Laune nach Hause kam. Er sagte zu meiner Mutter, er habe eine »unabhängige Geschäftspartnerschaft« mit »Eisenbahnern« gebildet, was das Familieneinkommen aufbessern würde, während er die Grundbegriffe des Farm-und-Ranch-Spiels lernte. Nichts, was unser aller Leben und Streben entscheidend verändern würde, aber doch eine stabilere finanzielle Basis als bislang, seit er die Air Force verlassen hatte.
Ich weiß nicht mehr, was meine Mutter darauf sagte. In ihrer Chronik stand, sie hätte schon seit längerem erwogen, meinen Vater zu verlassen und mit meiner Schwester und mir in den Staat Washington zu gehen. Als er ihr das Arrangement erläutert habe, gestohlenes Fleisch an die Great Northern zu verkaufen (das ihm offensichtlich auch nicht peinlich war), habe sie, so schrieb sie, sich dagegen ausgesprochen, von Anfang an habe sie deshalb eine »schreckliche Anspannung« empfunden und beschlossen – da es so aussah, als ginge allmählich alles sehr schief –, mit uns beiden so bald wie möglich wegzugehen. Bloß dass sie es nicht
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