Kanada
Schach gespielt hatte, wo er schon nach dem Spiel hieß, und ob es in Ordnung war oder nicht, wenn Baseballspieler ihre Namen auf den Trikots trugen – Gespräche, an denen ich merkte, dass ich nicht viel von dem wusste, was in der Welt vor sich ging, und das dringend ändern musste.
Meine Mutter ermutigte mich zum Schachspielen. Sie erzählte mir, ihr Vater habe in einem Park in Tacoma gegen andere Einwanderer gespielt, manchmal sogar bei mehreren Spielen gleichzeitig. Sie war überzeugt, Schach würde meine Intelligenz schärfen und mir eine größere Sicherheit im Umgang mit der Komplexität der Welt geben, Konfusion würde mich nicht mehr schrecken – da sie überall herrschte. Von meinen Ersparnissen aus einem Dollar Taschengeld pro Woche hatte ich mir ein Staunton-Schachspiel aus Plastik im Hobbybedarf auf der Central geholt, dazu ein aufrollbares Spielfeld aus Vinyl, das immer offen auf meiner Kommode lag, außerdem hatte ich ein Buch mit Illustrationen gekauft, das mir die Clubmitglieder empfohlen hatten, damit ich mir die Regeln selbst beibringen konnte. Das hatte ich bei meinen Science-Adventure-Geschichten von Rick Brant und den Bodybuilding-Büchern von Charles Atlas stehen, die von den Vormietern im Haus liegen geblieben waren und die ich gelesen hatte. Mir gefiel insbesondere, dass die Schachfiguren alle verschieden aussahen, leicht mysteriös, und dass sie komplizierte Aufgaben zu erfüllen hatten, für die sie sich nur in festgelegter Weise, aber mit bestimmtem strategischem Auftrag bewegen durften. Diesen Auftrag beschrieb mein Buch als Abbildung des echten Krieges zu der Zeit, als Schach in Indien erfunden wurde.
Meine Mutter spielte nicht. Sie mochte Binokel lieber, das ein jüdisches Spiel sei, wie sie sagte – dabei hatte sie niemanden, mit dem sie es spielen konnte. Mein Vater mochte Schach nicht, weil, wie er sagte, Lenin Schachspieler gewesen sei. Ihm war Dame lieber, er behauptete, es sei ein natürlicheres Spiel und verlange subtile Täuschungstalente, was meine Mutter höhnisch antworten ließ, es sei nur dann subtil, wenn man aus Alabama komme und nicht geradeaus denken könne. Als ich mein Schachspiel hatte, breitete ich es aus und zeigte ihr, wie die Figuren sich bewegten. Sie versuchte, einige der Manöver auszuführen, verlor aber schnell das Interesse und sagte schließlich, ihr Vater habe es ihr mit viel zu hohen Ansprüchen verdorben. In meinem Buch las ich, dass viele Spieler zur Übung gegen sich selbst spielten und Stunden damit verbrachten zu ergründen, wie sie sich selbst schlagen konnten, so dass, wenn sie bei einem Turnier gegen einen Gegner antraten, das Spiel letzten Endes nur noch im Kopf stattfand – das sprach mich an, obwohl ich es gar nicht hinbekam und lauter übereilte Züge machte, die die Clubmitglieder zum Johlen gebracht hätten. Mehrfach versuchte ich Berner zu überreden, sich auf die andere Seite des Brettes zu setzen, auf mein Bett, und mich Züge direkt aus dem Schachgrundlagen -Buch machen zu lassen, deren Gegenzüge ich ihr dann beibringen wollte. Sie machte zweimal mit, doch dann langweilte es auch sie, und sie gab auf, bevor das Spiel noch richtig angefangen hatte. Wenn ich sie anödete, starrte sie mich durchdringend an und schwieg, dann atmete sie durch die Nase, in einer Weise, die ich hören sollte. »Was würde es denn bringen, wenn du irgendwann gut im Schach wärst?« Das sagte sie im Gehen. Ich fand natürlich, dass es darum gar nicht ging. Nicht alles musste einen praktischen Nutzen haben. Manche Dinge tat man nur, weil man sie gern tat – aber so dachte sie damals schon nicht mehr über das Leben.
Ich hatte keine echten Freunde, außer Berner natürlich. Wir mussten nie die Rivalität, die erbitterten Auseinandersetzungen und die Angriffslust ertragen, die zwischen Geschwistern herrschen können. Das kam daher, dass wir Zwillinge waren und oft zu wissen schienen, was der andere gerade dachte und was ihm wichtig war, und dem leicht zustimmen konnten. Außerdem wussten wir, dass das Leben mit unseren Eltern sich stark von dem anderer Kinder unterschied – der Kinder, mit denen wir zur Schule gingen und die in unserer Vorstellung durchschnittlich waren –, von Menschen mit Freunden und mit Eltern, die sich normal zueinander verhielten (das gab es natürlich in Wahrheit nicht). Wir fanden beide, dass unser Leben »ein Zustand« war und das Warten sein schwierigster Bestandteil. Irgendwann würde all das sich wandeln, und wir sollten am
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