Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft
sprachlichen Schnitzer als poetische Bereicherung ihrer »Mutterzunge«. Der Türke wird zum Inbegriff für »Gefühl«, einer schlampigen Nostalgie und eines faulen »exotischen« Zaubers.
Die deutschen Ausländerbeauftragten sind froh, mittels ABM und BSHG 19 eine Stelle gefunden zu haben und stümpern mit dem Viertelwissen ehemaliger Honorarkräfte vor sich hin. Aber schon um einen Namen für seine Klientel ist man verlegen: »Gastarbeiterkind«, »ausländischer Mitbürger« oder eben doch »Türke«? Der Volksmund weià es besser: Er spricht vom »Kümmel« und »Kanaken«.
Den Kanaken schiebt man Sitten und Riten zu wie einen Schwarzen Peter. Von auÃen betrachtet kommen sie nur als amorphe Masse von Lumpenproletariern vor, die man an ÃuÃerlichkeiten und »spezifischen Eigenarten« zu erkennen glaubt. Auch wenn sie zu einer endgültigen Entscheidung gezwungen würden, die Kanaken suchen keine kulturelle Verankerung. Sie möchten sich weder im Supermarkt der Identitäten bedienen, noch in einer egalitären Herde von Heimatvertriebenen aufgehen. Sie haben eine eigene innere Prägung und ganz klare Vorstellungen von Selbstbestimmung. Sie bilden die eigentliche Generation X, der Individuation und Ontogenese verweigert worden sind.
Längst haben sie einen Untergrund-Kodex entwickelt und sprechen einen eigenen Jargon: die »Kanak-Sprak«, eine Art Creol oder Rotwelsch mit geheimen Codes und Zeichen. Ihr Reden ist dem Free-Style-Sermon im Rap verwandt, dort wie hier spricht man aus einer Pose heraus. Diese Sprache entscheidet über die Existenz: Man gibt eine ganz und gar private Vorstellung in Worten.
Die Wortgewalt des Kanaken drückt sich aus in einem herausgepreÃten, kurzatmigen und hybriden Gestammel ohne Punkt und Komma, mit willkürlich gesetzten Pausen und improvisierten Wendungen. Der Kanake spricht seine Muttersprache nur fehlerhaft, auch das »Alemannisch« ist ihm nur bedingt geläufig. Sein Sprachschatz setzt sich aus »verkauderwelschten« Vokabeln und Redewendungen zusammen, die so in keiner der beiden Sprachen vorkommen. In seine Stegreif-Bilder und -Gleichnisse läÃt er Anleihen vom Hochtürkisch bis zum dialektalen Argot anatolischer Dörfer einflieÃen. Er unterstreicht und begleitet seinen freien Vortrag mimisch und gestisch. Die reiche Gebärdensprache des Kanaken geht dabei von einer Grundpose aus, der sogenannten »Ankerstellung«: Die weit ausholenden Arme, das geerdete linke Standbein und das mit der Schuhspitze scharrende rechte Spielbein bedeuten dem Gegenüber, daà der Kanake in diesem Augenblick auf eine rege Unterhaltung groÃen Wert legt. Ballt der Kanake beispielweise die rechte Faust, um sie blitzschnell zu öffnen und die Hand zu fächern, will er seine MiÃbilligung oder seine Enttäuschung zum Ausdruck bringen. Streicht er sich mit einem angefeuchteten Zeigefinger über eine Augenbraue, so möchte er seine Kompetenz oder einen gelungenen Spruch anerkannt wissen. Und über die einzelne charakteristische Gebärde hinaus signalisiert der Kanake: Hier stehe ich und gebe mit allem, was ich bin, zu verstehen: Ich zeige und erzeuge Präsenz.
Weil sich die Kanak Kids in den StraÃen bewegen, sprechen sie einen sich laufend weiterentwickelnden symbolischen Jargon, der häufig als blumige Orientalensprache miÃverstanden wird. Dieser Folklore-Falle muÃte meine Nachdichtung entgehen. Deshalb enthält die deutsche Ãbertragung nur die Anrede »Bruder« und nicht gözüm (mein Auge), gözümün nuru (mein Augenlicht) oder vieles andere. Der Kanake sagt, wörtlich übersetzt, »HaÃhand teilt gerne aus, bricht sich aber viele Knochen« und meint »wer von Haà erfüllt ist, greift ohne Rücksicht auf Verluste zur Gewalt«. Der Kanake sagt »Gott fickt jede Lahmgöre« und meint »wenn man weiterkommen will, muà man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen«. Dies war bei der Nachdichtung ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, daà der Kanake nicht mit einem »stino«-Sproà aus gutbürgerlichen Kreisen gleichgesetzt werden darf, der four-letter words kultiviert und mit der Bierdose in der Hand vor einem Kaufhaus »anzuecken« versucht.
Die folgenden »Protokolle« sind in einem Zeitraum von anderthalb Jahren entstanden. Sie sind das Produkt
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