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Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft

Titel: Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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will er niederzwingen. Ganz schlimm trifft es unsere frauen. Für die schweinereien, die man ihnen antut, die bastarde wie wir ihnen antun, finde ich keine worte. Wo du hinsiehst freund, ein einziges trauerspiel, keine saat geht so behende auf wie die saat der gewalt. Ich habe nicht die geringste ahnung, was aus uns wird, ich kann mir auch nicht vorstellen, daß jemand aus dieser misere schlau wird. Mein vater kam aus irgendeinem kaff da unten, er kam, um ein kleines vermögen hier anzuschuften, und mit dem geld wollte er im dorf ein mehrstöckiges haus bauen lassen. Er hat von nichts anderem als diesem verdammten haus geredet, und von der endgültigen rückkehr. Er war bieder und ein kleingeist, und ich weiß noch, wie er den gekochten knochen auf die unterlippe legte und das mark ausschlürfte. Ich empfand nichts als ekel, Widerwillen gegen einen mann, der sich die seele aus dem leib schuftet für den billigen traum eines kleinbürgers, und der keine eßmanieren hat. Er war bauer, roch aus dem mund und trug dieses käppi, als ginge er schafe hüten. Er hat es mir nie verziehen, daß aus mir kein akademiker geworden ist. In seinen augen war ich so etwas wie ein asozialer, der weibische gedichte schrieb und sein leben wegwarf. Er war ein altmodischer vater und ich war sein altmodischer sohn, deshalb kamen wir nie ins gespräch. So etwas spielt sich in vielen türkischen familien ab, man nennt es hier den generationskonflikt. Es ist mehr als das. Es ist metamorphose. Die alten werden zerdrückt und die jungen tun sich gewalt an, zum einen, um so zu sein wie die eingeborenen, zum anderen, um sich zu bewahren in diesem tollhaus. Das alter spielt in diesem zusammenhang keine rolle. Es geht um unserer aller unfreiwillige verpuppung, die realität ist die harte kapsel, in der wir ausharren, wir sind gehalten zu glauben, am ende würden uns flügel wachsen, und wir könnten aus der feuchten enge schlüpfen, uns ins freie drängen. Was wir erfahren, ist eine verordnete wartezeit, wir regen uns nicht, aus angst, unserer zukünftigen anatomie zu schaden. Wir sehen schon gespenster aus lauter angst. Die angst vor der anomalie treibt die alten in den starrsinn und die jungen in die epilepsie. Die alten haben sich in ein fatum ergeben, das sie in versen und überlieferungen entdeckt zu haben glauben, sie beugen ihre verrunzelten kleinen geierköpfe über die alte schrift, denn die bedrängte kreatur sucht das finale und plausible wort, die letztendliche weissagung, in einer wurzel, die nicht die ihre ist. Ich sehe sie niederknien vor einem gott, der immerfort in der wüste sprach. Ich weiß, daß sie diesen ihren gott bitternötig haben, sonst würden sie zerbröckeln wie starre salzsäulen, die man einfach umwirft. Sie haben, getäuscht und abermals getäuscht, eine fremde, aber komischerweise naheliegende version verdient. Man soll sie in ruhe lassen. Die jungen dagegen fuchteln mit zu langen gliedern, sie wissen nicht wohin mit der überschüssigen energie und manch einer führt eine stahlklinge mit, das zeichen komprimierter gewalt. Wir stehen in dem ruf, messerstecher zu sein, mannskerle, die das problem auf ihre art zu lösen verstehen. Dabei sind wir bloß besessen von der idee, besser zu sein als der eingeborene, der uns sehr früh einbleut, daß nur besonders schöne, besonders tüchtige oder besonders intelligente kanaken die zielgerade erreichen. Wir haben die botschaft gefressen und befolgen sie wie die letzten preußen.
Einigermaßen passabel
oder
ausreichend
oder
nicht schlecht
gibt es nicht in unserem vokabular. Wir wollen uns mit den insignien der blonden übermenschen schmücken. Unser eigener schlechter geschmack kommt uns in die quere und das uns eingeflößte gefühl, daß wir minderwertig sind. Deshalb färben sich viele kümmelmammas ihr haar blond und tragen unsere pop-starletts blaue oder grüne kontaktlinsen. Deshalb giert das turcokid nach einem daimler. Deshalb sticht mancher kümmel zu: er will hart sein wie kruppstahl und aussehen wie ein provinzpopper. Den wechsel vom ackerland zum fließband haben wir nicht verdaut. So lange man von uns meisterleistungen erwartet, werden wir uns wie knechte verhalten. Solange dieses land uns den wirklichen eintritt verwehrt, werden wir die anomalien und perversionen dieses landes wie ein schwamm aufsaugen und den dreck ausspucken. Die beschmutzten

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