Kanaken-Gandhi
Juni, 21:20 Uhr
Allmählich komme ich wieder zur Besinnung, aber ich kapiere überhaupt nicht, wo ich bin. Ich sitze in einem Raum mit vielen Sesseln.
Bin ich im Kino?
Bei Allah, das war aber ein blöder Film! Rambo auf türkisch!
In diesem Kino sind einige der Eisverkäuferinnen besonders hübsch. Langsam merke ich, dass ich nicht im Kino bin. Ich sitze in einem riesigen Flugzeug. Und die hübschen Eisverkäuferinnen verkaufen kein Eis, sondern Drogen: Zigaretten, Alkohol und Schokolade.
Plötzlich sehe ich mich schon wieder selbst!
Dabei schaue ich weder vom Kernkraftwerk runter, noch schaue ich in Richtung Fenster, in dem sich mein Gesicht hätte spiegeln können. Ich drehe mich zur anderen Seite, dort sitzt Puschpa, Mehmets indischer Freund. Zu meiner rechten Seite sitzt mein Double: Der grüßt mich auch noch höflich mit einem Kopfnicken.
»Herr Engin, darf ich Sie bekannt machen, das ist mein Vater Singh Mangeschkar«, sagt Puschpa.
»Oh, habe ich einen Riesen-Kater und jetzt noch einen Doppelgänger! Das war aber ein starker Döner! Ich habe schon gedacht, ich schaue in den Spiegel.«
»Herr Engin, ich kann Ihnen das alles erklären: Ihr Doppelgänger ist mein Vater!«
»Dann hat die Ausländerbehörde ja doch recht gehabt! Wenn ich einen indischen Zwillingsbruder habe, dann hin ich ja wohl auch ein Inder! »
»Nein, Herr Engin, das ist eine längere Geschichte, das muss ich Ihnen genauer erklären«, sagt Puschpa.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich mit diesem dicken Kopf wirklich verstehen kann.«
Auf einmal sehe ich, dass fast alle Passagiere mit Handschellen an die Sitze angekettet sind!
»Was für ein billiges Flugzeug ist das eigentlich? Können die sich keine anständigen Sicherheitsgurte leisten? Oder ist das hier ein Sträflingsschiff? Müssen die jetzt etwa alle rudern? Wo ist denn der Einpeitscher?«
Mit Entsetzen stelle ich fest, dass ich selbst auch mit einer dicken Handschelle an den Sitz angekettet bin!
»Ich bin doch gerade dabei, Ihnen das alles zu erklären, Herr Engin. Vorletztes Jahr bei unserer Studienreise nach Indien hat Ihr Sohn Mehmet meinen Vater kennen gelernt. Mehmet wollte meinem Vater unbedingt helfen, weil der in Indien politisch verfolgt wird!«
»So ist er eben, der Mehmet. Zu Hause ist er zu faul, um an der Ecke einkaufen zu gehen, aber wenn es um blöde Politik geht, dann rennt er bis nach Indien! »
»Herr Engin, Sie müssen aber zugeben, dass mein Vater Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten ist!«
»Das ist gut! Geteiltes Leid, halbes Leid! Ich hätte nie gedacht, dass noch ein anderer unter Gottes Sonne mit so einer hässlichen Visage rumlaufen muss! Mein aufrichtiges Beileid, Kumpel.«
»Herr Engin, für ihn ist das nicht so tragisch, er hat andere Sorgen. Mehmet hatte damals die geniale Idee, dass mein Vater unter Ihrem Namen in Deutschland Asyl beantragt.«
»Aber wieso unter meinem Namen? Oder meint ihr, wenn einer schon das Pech hat, wie Osman Engin auszusehen, dann soll er auch so heißen?«
»Nein, wir hatten uns das ganz einfach vorgestellt. Wir dachten, Sie könnten bestimmt problemlos beweisen, dass Sie seit dreißig Jahren in Deutschland leben.«
»Diese Frau Kottzmeyer-Göbelsberg wollte mir einfach nicht glauben, dass ich kein dahergelaufener Asylschmarotzer bin!«
»Das haben wir auch nicht kapiert, Herr Engin. Normalerweise hätten die Behörden einsehen müssen, dass der Asylantrag, den mein Vater gestellt hat, eine Art Missverständnis ist. Denn der echte Osman Engin hatte in Deutschland doch schon alle Rechte. Danach hätte mein Vater für immer in Europa bleiben können. Im Endeffekt hätte es eben zwei Osman Engins gegeben, aber wie sollte das jemals rauskommen?! In Deutschland gibt es ja auch mindestens 25.000 Hans Müllers!«
»Bei Allah, dann hat die Kottzmeyer-Göbelsberg ja doch einen Grund gehabt, mich fertig zu machen!«
Mir wird ganz anders! Hat der Kerl ein Glück, dass man Flugzeugfenster nicht öffnen kann!
Ich glaub’s einfach nicht! Ich habe nicht einmal die Kraft, mich aufzuregen.
»Dann hat also Mehmet die beiden Totschläger in der Straßenbahn beauftragt, mir das Ohr abzuschneiden, damit ich einen Kopfverband tragen muss, der wie ein Turban aussieht?«
»Aber nein, Herr Engin, wie können Sie nur so schlecht von Ihrem Lieblingssohn Mehmet denken?! Damit hat der wirklich nichts zu tun. Als Sie letzte Woche mit dem Verband auf dem Kopf aus dem Krankenhaus gekommen sind, hat sogar Mehmet Sie mit meinem
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