Kanaken-Gandhi
Osman Engin
Kanaken-Ghandi
Ein satirischer Roman
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Osman ist ein unbescholtener Bürger Anfang fünfzig. Er hat fünf Kinder, arbeitet als Fabrikschlosser und träumt davon, eines Tages einen Gemüseladen zu besitzen. Außer dass er mit der »zweitgrößten Nervensäge des Mittleren Orients« verheiratet ist und gelegentlich mit Skinheads über den Unterschied zwischen »Türken« und »Kanaken« diskutieren muss, hat er keine Probleme. Bis eines Tages ein Brief von der Ausländerbehörde eintrifft: Er soll abgeschoben werden. Das ist natürlich absurd – schließlich ist er vor mehr als dreißig Jahren als Gastarbeiter in die Bundesrepublik gekommen und sollte demnächst die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Aber Frau Kottzmeyer-Göbelsberg von der Ausländerbehörde kann ihm nur bestätigen, dass er laut Akte innerhalb einer Woche das Land zu verlassen habe. Jetzt ist jedes Mittel recht: Scheinehe, Barrikade vor der Wohnung, Bestechungsversuche. Aber selbst Massendemonstrationen und die Besetzung eines Atomkraftwerks bleiben ohne Wirkung.
ISBN 3423204761
Dezember 2001
DTV - Verlag
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Autor
Osman Engin, 1960 in der Türkei geboren, seit 1973 in Deutschland. Studium der Sozialpädagogik bis 1989 in Bremen.
Seither schreibt er monatlich eine Satire für die Bremer Stadtillustrierte »Bremer« und arbeitet u.a. für Frankfurter Rundschau, Titanic, taz und Radio Bremen. Ausgedehnte Lesereisen.
Montag, 18. Juni, 5:12 Uhr
Heute gönne ich meinem Ford-Transit eine Pause. Mit meiner Arbeitstasche und der Thermoskanne steige ich auf dem Weg zur Arbeit in Halle 4 in die nächste Straßenbahn.
Ich bin fast allein in der Bahn. Nur hinten sind noch ein paar Leute. Es ist früh genug, so dass ich vor der Arbeit noch meinen zukünftigen Gemüseladen besuchen kann. In dem Moment höre ich hinten laute Geräusche und drehe mich um. Zwei junge Burschen halten dem einzigen anderen Fahrgast ein Messer an die Kehle und brüllen, dass er das Geld rausrücken soll. Der Mann schaut sich hilfesuchend nach mir um. Ich denke nicht daran, mich mit den jungen Gangstern anzulegen. Schließlich will ich mich in die deutsche Gesellschaft integrieren und nicht mit ihr anlegen. Es tut mir leid, sonst wäre ich ohne nachzudenken dem Raubopfer zu Hilfe geeilt. Also vielleicht nicht direkt zu Hilfe, aber ich hätte den Jungs gesagt: »Ist in Ordnung, nehmt ihm sein ganzes Geld ab! Aber schlagt ihn nicht mehr so laut!« Wenn ich vielleicht auch keinen Ton rausgekriegt hätte vor lauter Angst, so hätte ich denen doch einen vernichtenden Blick zugeworfen. Wie das Sprichwort schon sagt: Ein Blick sagt mehr als tausend Worte.
Da bin ich auch schon auf der Höhe von Halle 4, und ich springe erleichtert aus der Straßenbahn. Besser gesagt, ich wäre gerne rausgesprungen, wenn man mich nur gelassen hätte. Aber eine Messerspitze, die gegen meinen Bauch drückt, hindert mich daran.
»Rück erst mal die Knete raus, Opa, dann kannst du abziehen!« Auf einen Kampf zwischen dem Messer und meinem Bauch will ich es nicht ankommen lassen. Mein armer leerer Magen würde sich nicht wehren können. Und eine
Verzögerungstaktik wird hier in der Straßenbahn auch nicht viel nützen. Kein Mensch wird mir helfen. Ich habe dem armen Mann ja auch nicht geholfen.
»Jungs, ich hab’ ja Verständnis für euc h. Die Jugendarbeits-losigkeit, keine Berufsperspektive, unerträgliche Wohnungsnot, gekürzte Sozialhilfe, korrupte Politiker, Überbevölkerung in Asien, steigende Bierpreise, Ausländerfeindlichkeit ... »
Eine stahlharte Stiefelspitze unterbricht mich auf schmerzhafte Weise. Mein linkes Schienbein tut unheimlich weh.
»Halt’s Maul, du Wichser, rück die Kohle raus!«
»Ihr habt ja so recht, Jungs! Das mit der Ausländerfeindlichkeit ist ganz allein mein Problem. Ich sehe es ein! Hier, das ist alles was ich habe: 23 Mark 65! Und ein kaum benutztes Taschentuch, mein Werksausweis von Halle 4 mit einem ganz alten Foto, auf dem ich noch alle Haare habe, und als Andenken aus der Zeit, ein alter Kamm. Butterbrot mit Knoblauchwurst, ein Knäckebrot mit Ziegenkäse zum Abnehmen, ein hartgekochtes Ei von freilaufenden Salmonellen. Und hier in der Thermoskanne sind zwei fassen schwarzer Tee mit drei Stück Zucker.«
Die beiden jungen Männer nehmen mir alles weg, ohne sich entsprechend zu bedanken. Einen Moment später finde ich mich auf dem harten Straßenpflaster
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