Kantaki 02 - Der Metamorph
Jungen und stemmte die Fäuste an die breiten Hüften. Er trug eine braune Kutte mit einer weißen Kordel, weil er wie ein Mönch aussehen wollte, aber in dieser Aufmachung wirkte er nur lächerlich. Das schulterlange graue Haar war ebenso gefärbt wie der Bart, und beides sollte ihm eine Aura der Weisheit geben. Eklund war zu alt, um sich von solchen Dingen beeindrucken oder gar täuschen zu lassen.
»Wie heißt du?«, fragte der Hirte den Jungen.
Raimon schwieg.
»Ich will wissen, wie du heißt«, sagte Conrad noch schärfer.
»Er spricht nicht«, warf Eklund ein.
»Und warum spricht er nicht?«
»Nun, in der vergangenen Nacht kam es am Rand von Chiron zu einem Zwischenfall…« Eklund berichtete von der Schießerei und Raimons erstaunlich schneller Heilung, fügte dann seine Elysium-Erlebnisse hinzu. »Er könnte ein Selbstheiler sein.«
Der Hirte sah den Jungen wie etwas an, das kaum in seine Welt passte. Hinter ihm piepte der Datenservo, und er warf einen kurzen, ungeduldigen Blick zum Schreibtisch.
»Kommst du gut mit dem Buch voran?«, fragte Eklund unschuldig.
Conrad musterte ihn misstrauisch und hielt nach Anzeichen von Sarkasmus Ausschau. Er fand keine. Auch das war ein Vorteil des Alters: Eklund verstand es gut, seinen Gesichtsausdruck zu kontrollieren; er hatte über neunzig Jahre Zeit gehabt, das zu lernen.
»Ich bin sicher, dass es unsere Aufgeklärte Gemeinschaft ein ganzes Stück voranbringen wird«, sagte der Hirte im Tonfall eines Missionars. »Es wird höchste Zeit für eine allgemeine Modernisierung.«
Eklund seufzte kaum hörbar.
»Oder hat deine Weltseele etwas dagegen einzuwenden?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Eklund ehrlich. »Ich habe sie noch nicht gefragt. Was den Jungen betrifft…«
Der Hirte wippte auf den Zehen. »Er muss fort. Dies ist kein Ort für Kinder. Ich dachte, das hätte ich bei der Auflösung deines Kinderhorts deutlich gemacht.«
»Das mit dem Hort war eine ganz andere Sache«, sagte Eklund ruhig. »Er bestand aus kranken Kindern und aus Waisen. Ich wollte hier ein Lazarett für sie einrichten – wir sind Heiler –, außerdem auch eine Schule…«
»Lobenswert, sehr humanistisch und so weiter, und zweifellos steckte eine gute Absicht dahinter«, brummte der Hirte monoton. »Aber ich wiederhole: Die Zitadelle ist kein Ort für Kinder, sondern eine Stätte der Meditation und heiligen Transzendenz. Nichts darf uns hier von dem Bestreben ablenken, unser Bewusstsein zu erweitern, die Welt über der Welt zu erkunden und zu verstehen. Deshalb wirst du den Jungen noch heute nach Chiron zurückbringen.« Conrad trat wieder hinter den Schreibtisch.
»Nein«, sagte Eklund mit der gleichen Ruhe wie zuvor.
Das Gesicht des Hirten veränderte sich. Die Pausbacken begannen rot zu glühen.
»Du wagst es, dich meinen Anweisungen zu wi…«
»Er ist mein Novize«, sagte Eklund. »Ich bin über neunzig Jahre alt, und es wird Zeit für mich, dass ich jemanden auswähle, der meine Nachfolge antritt. Wie du sicher weißt, hat jedes Mitglied der Aufgeklärten Gemeinschaft das Recht auf einen solchen Novizen.«
»Was?« Diesmal war es der Hirte, der nach geeigneten Worten suchte. »Aber er ist ein…«
»Novize.«
»Ein Kind!«
»Und ein Novize.«
Die beiden so ungleichen Männer sahen sich einige Sekunden lang stumm an. Eklund wusste, dass er gewonnen hatte, aber er hütete sich davor, Triumph zu zeigen. Conrad war der Hirte, und als solcher verdiente selbst er Respekt.
»Na schön«, sagte der kleine, dicke Kuttenträger leise und setzte sich. »Soll er dein Novize sein. Aber achte darauf, dass er hier niemanden stört. Und jetzt… Bitte geh. Wichtige Dinge erfordern meine Aufmerksamkeit.«
Eklund seufzte erneut, unhörbar diesmal. »Komm, Raimon.«
Sie verließen die Bürohöhle des Hirten und schritten durch den Tunnel, tiefer hinein in die Zitadelle. Als er sich außer Hörweite des Hirten glaubte, sagte Eklund: »So, das hätten wir überstanden. Von jetzt an bist du ein Mitglied der Aufgeklärten Gemeinschaft.« Er sah auf den immer noch lächelnden Raimon hinab. »Wir ruhen uns jetzt ein wenig aus, und dann zeige ich dir das Mandala.«
KiTamarani
Vor Jahrmillionen
P RÄVALENZ
KiTamarani stürzte durch das Nichtlineare, gefangen in der Schwärze eines Omnivorsplitters. Sie fiel durch einen Schacht aus quirlender Zeit, und der Keim gab sie gerade so weit frei, dass ihre Peripherie über raues temporales Kondensat schabte. Seine Absicht war
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