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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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fragte Eklund.
    Sebastian zuckte mit den Schultern. »Angeblich steht dieses Gebiet jetzt unter Naturschutz.«
    »Aber das glauben Sie nicht?«
    »Mein Vater und andere haben an jener Stelle mehr als zwanzig Jahre lang nach Riffopalen getaucht, ohne dass sich der Autokrat darum gekümmert hätte. Warum sollte es ihm jetzt plötzlich darum gehen, die Natur zu schützen? Bestimmt will er die Opale für sich selbst.«
    »Ist er nicht schon reich genug?«
    Sebastian sah kurz zur Seite. »Kriegen Leute wie der Autokrat jemals den Hals voll?«
    Sie plauderten über andere Dinge, und aus den Augenwinkeln beobachtete Eklund den auf der Rückbank sitzenden Jungen. Raimons Gesicht war jetzt nicht mehr leer, sondern zeigte… Interesse. Ja, Eklund glaubte, der Umgebung geltendes Interesse zu erkennen, aber darunter gab es noch etwas anderes, so verborgen wie ein Schatten im Innern eines Schattens. Alles schien völlig neu für ihn zu sein, selbst die kleinsten, alltäglichen Dinge. Vielleicht ging Raimons Schweigen nicht nur auf einen Schock zurück, überlegte Eklund. Möglicherweise litt er an einer ausgeprägten Amnesie. Hatte er vergessen, dass er sprechen konnte? Versuchte er mühsam, sich an eine Welt zu erinnern, die vor dem tragischen Zwischenfall in der vergangenen Nacht vertraut gewesen war, ihm jetzt aber völlig fremd erschien? Wenn das stimmte, und wenn er wirklich über die Fähigkeit des Selbstheilens verfügte… Konnte er seinen Geist dann ebenso reparieren wie den Körper?
    »Da sind wir«, sagte Sebastian schließlich und hielt in einer weiten Kurve an. »Näher kann ich euch nicht heranbringen. Den Rest müsst ihr zu Fuß gehen.«
    »Danke. Es ist nicht mehr weit. Komm, Raimon.«
    Sie stiegen aus, und Eklund sah noch einmal durch das Seitenfenster herein. »Lassen Sie es sich gut gehen, Sebastian. Grüßen Sie Ihren Vater von mir, und sagen Sie ihm, er soll es mit dem Tauchen nicht übertreiben.«
    »Ich richte es aus.« Der junge Fischer winkte, und sein alter Wagen schaukelte und rasselte davon.
    Andere Fahrzeuge rollten über die breite Straße, manche neu, die meisten alt, viele von ihnen große Ungetüme aus Metall, Synthomasse und Gestank: Transporter, die zwischen den anderen, kleineren Städten an der Küste und Chiron verkehrten. Eklund deutete mit dem Gehstock auf einen unbefestigten, von vielen Füßen ausgetretenen Weg. »Hier geht’s lang, Raimon.«
    Der Junge folgte ihm, wortlos wie immer, aber auch neugierig.
    Vor und links von ihnen, im Süden und Osten der Stadt, ragte das Pelion-Massiv steil empor, bis in eine Höhe von fast tausend Metern, eine natürliche Barriere, die Chiron oft vor den tropischen Stürmen weiter im Süden schützte. Wie der Keil eines Giganten schob sich das Gebirge aus dem endlosen Grün des Kontinentalwaldes ins Riffmeer.
    »Wenn du eine Art Burg oder Feste erwartet hast, muss ich dich enttäuschen«, sagte Eklund, als sie dem Verlauf des Weges folgten. Wind wehte hier und machte die Hitze erträglicher. »Ich weiß auch nicht, warum die Gründer der Aufgeklärten Gemeinschaft die Höhlen ›Zitadelle‹ genannt haben. Vielleicht deshalb, weil sie Schutz boten, nicht nur vor dem Wetter, sondern auch vor eventuellen Angreifern, die es meines Wissens nie gegeben hat. Allein die Weltseele weiß, von wem die Bezeichnung stammt.« Er blieb im fransigen Schatten eines hohen Strauchs stehen und schnaufte leise; an dieser Stelle führte der Weg recht steil nach oben. »Habe ich dir von der Seele der Welt erzählt, Raimon? Nein? Nun, du bist jetzt mein Novize, und wir werden noch oft Gelegenheit bekommen, über solche Dinge zu reden. Was die Zitadelle betrifft…«
    Er ging weiter und stützte sich mit dem Gehstock ab. Nach einigen Metern griff Raimon nach seiner freien Hand, und das verblüffte Eklund so sehr, dass er stehen blieb und erstaunt auf den Jungen hinabsah. Raimon blickte an der Felswand empor, die weit oben die Wolken berührte, schien die Überraschung des Alten überhaupt nicht zu bemerken.
    »Die ersten Eremiten ließen sich unmittelbar nach der Besiedlung von Kerberos in den Höhlen dort oben nieder, vor fast hundert Jahren«, fuhr Eklund fort und setzte sich erneut in Bewegung. »Sie wollten allein sein und meditieren. Diese erste Phase dauerte einige Jahre, und sie endete kurz vor meiner Ankunft auf Kerberos.« Er lächelte kurz, als er sich erinnerte. »Ich war damals noch jünger als du jetzt. Nun, die zweite Phase begann mit der Entdeckung des Mandalas.

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