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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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vor der ein Felsvorsprung wie eine Art Balkon wirkte. Darauf ließ Eklund die Scheibe niedergehen und trat zusammen mit Raimon von ihr herunter. Er vollführte eine einladende Geste, die der Öffnung galt, deutete dabei eine Verbeugung an. »Willkommen in der Zitadelle.«
    Eklund führte den Jungen in eine große Höhle, von der mehrere Tunnel ausgingen. Er wählte den breitesten, und schon nach wenigen Schritten blieb die Hitze des Tages hinter ihnen zurück, wich angenehmer Kühle. »Die Geologen sagen, dass sich dies alles einmal am Grund eines prähistorischen Meers befand. Strömungen sollen die ersten Höhlen und Tunnel aus dem Gestein gewaschen haben. Das muss stimmen, denn manchmal finden wir die Reste von Muscheln und dergleichen. Oder die Fossilien fischartiger Geschöpfe. Ist das nicht seltsam? Heute sind wir hier einen halben Kilometer über dem Boden des Planeten, aber vor Jahrmillionen befand sich das hier…«Er trat mit dem rechten Fuß auf. »… am Boden eines Urmeers.« Eklunds Gesicht gewann einen sehr nachdenklichen Eindruck. »Aber damals muss es noch mehr gegeben haben. Das Mandala dürfte kaum das Werk primitiver Fische und Muscheln gewesen sein.«
    Er seufzte erneut. »Nun, bevor ich dir hier alles zeige, muss ich dich dem Hirten vorstellen. Ich würde lieber darauf verzichten, aber es lässt sich leider nicht umgehen. Komm, Raimon, bringen wir das Unangenehme sofort hinter uns.«
     
    »Ich habe dir ausdrücklich verboten, noch einmal Kinder hierher zu bringen«, sagte der Hirte streng.
    »Dies ist kein…«
    » Ausdrücklich verboten«, wiederholte der Hirte. »Und was machst du? Wen hast du mitgebracht? Hm?«
    Eklund zögerte und suchte nach geeigneten Worten. Wie viele Generationen trennten ihn von Bruder Conrad, der vor etwa einem Jahr zum neuen Hirten geworden war, zum Oberhaupt der Aufgeklärten Gemeinschaft? Drei? Vier? Und wie viele andere Unterschiede gab es? Hundert? Tausend?
    Der Hirte war knapp dreißig Standardjahre alt, klein und dick. Er liebte gutes Essen und Trinken, und dieser Mangel an Zurückhaltung machte sich auch bei anderen Dingen bemerkbar. Die meisten in der Zitadelle wohnenden Brüder und Schwestern verzichteten auf die Verwendung moderner Technik, nicht etwa aufgrund eines Verbots, sondern um sich »auf das Wesentliche zu konzentrieren«, wie viele betonten, auf die elementaren Dinge des Lebens und des Seins. Conrad hingegen hatte die ihm als Hirte zur Verfügung stehenden Höhlen sofort nach seinem Amtsantritt mit einem Datenservo ausstatten lassen, bezahlt von den Boni, die die Heiler in Chiron und anderen Städten auf Kerberos durch ihre Tätigkeit erwarben. In einer Ecke der großen Haupthöhle, in der Eklund und Raimon standen, summte ein Generator leise vor sich hin, versorgte nicht nur den Datenservo mit Energie, sondern auch mehrere andere Geräte, unter ihnen Infonauten, audiovisuelle Aufzeichnungsmodule, Lampen – es waren keine Chemolampen wie in den anderen Bereichen und an den Eingängen der Zitadelle – und sogar einen mobilen Klimaservo, der heizen und kühlen konnte, ein unerhörter Luxus.
    Die Einrichtung der Höhle – ein Schreibtisch, mehrere bequeme Stühle, zwei Regalwände mit hunderten von Büchern, echten und pseudorealen, und zahlreichen Objekten, die man hier und dort in der Zitadelle gefunden hatte – wies auf eine Besessenheit hin. Die erste Botschaft lautete »Ordnung«, die zweite »Geometrie«. Alles war perfekt organisiert und wo möglich parallel oder wenigstens rechtwinklig zueinander ausgerichtet. Bei der Weltseele, dachte Eklund, ich glaube, er denkt sogar in perfekten geometrischen Figuren. Was soll man von einem solchen Mann erwarten?
    Aber der größte Fehler des Hirten bestand darin, dass er sich für wichtig hielt, schlimmer noch, für wichtiger als andere Leute. Als die Weltseele Demut und Bescheidenheit verteilt hat, mein lieber Conrad, bist du im Bett geblieben und hast weitergeschlafen. Er schrieb an einem Buch, hieß es, besser gesagt: Er diktierte es und zeichnete seine Worte mit den audiovisuellen Modulen auf. Ganz abgesehen davon, dass Eklund Leuten, die Bücher diktierten, anstatt sie zu schreiben, mit natürlichem Argwohn begegnete: Er zweifelte sehr daran, dass jemand wie Bruder Conrad ein sinnvolles Buch – etwa »Die philosophischen Aspekte transzendentaler Meditation« oder »Der richtige Umgang mit dem Mandala« – verfassen konnte.
    Der Hirte kam hinter dem Schreibtisch hervor, trat vor Eklund und den

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