Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
diskutieren, eine Petition zu unterschreiben oder sich vielleicht sogar selbst wählen zu lassen.
Nun kann man natürlich sagen: Schön und gut, aber letztlich ist mir das ziemlich egal – ich werde gern regiert! Oder: Ich kann sowieso nichts ändern. Aber Politik beziehungsweise der Staat sind wir alle. Ob man will oder nicht. Denn auch Nichtwählen ist eine Wahl (nämlich die, sich der Mehrheit anzuschließen, egal, wie sie ausfällt).
Was an der Demokratie besonders kritisiert wird, sind zum einen die Parteien und zum anderen, dass alles umso schwieriger wird, je mehr mitreden. Immer diese Konsenssoße, die entsteht, wenn viele Köche im Brei herumrühren! Wäre es nicht manchmal besser für alle, wenn ein »guter Herrscher« regieren würde, der endlich »straight« die richtigen Dinge durchsetzen kann? Das hört man bei Umfragen tatsächlich. Gerade in Zeiten, in denen die politischen Parteien viel streiten und taktieren, kommt bei erstaunlich vielen Leuten gerne mal der Wunsch nach einem »starken Führer« auf. Man könne den ja wieder abwählen, wenn er doch nicht so gut ist wie erhofft. Fragt sich nur, wer entscheidet, was für alle gut ist? Gibt es die eine objektive Wahrheit? Wer glaubt, einen göttlichen Willen auszuführen, wird das zweifellos bejahen. Weshalb es in sogenannten theokratisch regierten Staaten, in denen Staat und Religion nicht getrennt sind, mit Meinungsvielfalt und Minderheitenschutz nicht weit her ist. Der absolute Glaube an eine bestimmte Religion oder eine bestimmte Ideologie senkt logischerweise die Toleranzgrenze gegenüber Andersdenkenden. Wenn sich das mit absoluter politischer Macht paart, wird’s im Staate schnell ziemlich ungemütlich.
Grau, sagt man, ist alle Theorie – muss aber nicht sein. Als ich vor vielen Jahren (so genau wollen wir es jetzt nicht wissen) ein Studienjahr in England absolvierte und dort einen Kurs in Politischer Philosophie besuchte, betrat unser Professor den Seminarraum, setzte sich, lächelte freundlich in die Runde und zündete sich dann eine Zigarre an. Schweigend. Das zog sich hin, während sich die Rauchschwaden ausbreiteten und wir ihn irritiert anstarrten. Irgendwann ergriff er schließlich das Wort und sagte: »Heute wollen wir über John Stuart Mill und sein Buch über die Freiheit reden. Ich fühle mich gerade sehr frei. Und Sie?« Und schon waren wir mittendrin in einer Diskussion über den Liberalismus und seine Grenzen. Grau war das nicht. Es roch nur streng.
Wer auf Anhieb definieren kann, wo die Unterschiede liegen zwischen Sozialismus und Kommunismus, zwischen konstitutioneller und parlamentarischer Monarchie, zwischen autoritärem und totalitärem Regime, und wem auch John Stuart Mill oder Montesquieu aus der Schulzeit noch bestens vertraut sind, der kann jetzt weiterblättern. Für alle anderen kommt ein Schnellkurs zu den wichtigsten politischen Begriffen, die man im Zweifelsfall irgendwie »kennt«, aber so genau vielleicht doch wieder nicht.
Politik ist das Ziel und der Weg dorthin
Zunächst ein Blick auf den Begriff Politik: Das griechische Wort polis bedeutet Stadt oder Gemeinschaft – und mit Politik meint man in der Gegenwart ein überlegtes, gezieltes Verhalten innerhalb einer Gesellschaft. Selbst in einer Familie oder unter Freunden gibt es also politische Vorgänge – zum Beispiel, wenn es darum geht, was man am Wochenende unternimmt, ob man ins Kino geht oder doch lieber ins Freibad. Bei der Frage, ob und wie darüber abgestimmt wird und ob alle das gleiche Stimmrecht haben, ist man schon mittendrin in der Politik.
Politik beschäftigt sich gleichzeitig mit den Inhalten (was will ich), mit dem Weg dorthin (wie setze ich es durch) und mit dem Rahmen, in dem das alles stattfindet. Im Rechtsstaat besteht dieser Rahmen aus Gesetzen, Gerichten und Staatsorganen, auf deren Redlichkeit man sich verlassen können muss. Und hier kommt die Demokratie ins Spiel, die Abstimmungsregeln. Die Bundesverfassungsrichter beispielsweise müssen sich nicht etwa einig sein, sondern nur eine Mehrheitsentscheidung erreichen. Aber Mehrheiten allein reichen im Rechtsstaat nicht. Sonst könnte man ja auch mehrheitlich beschließen, den Rechtsstaat abzuschaffen. Deshalb ist die Verfassung, das Grundgesetz, als höchste Ebene der demokratischen Spielregeln, besonders geschützt. Grundrechte (wie zum Beispiel das Recht auf Meinungsfreiheit) dürfen nicht abgeschafft werden, auch nicht mit großer Mehrheit. Und Gesetze müssen der Verfassung
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