Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
entsprechen. Dass diese Grundkonstellation häufig zu hochkomplizierten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führt, mag einem gelegentlich lästig erscheinen. Aber das Komplizierte ist hier eben auch ein Wert an sich, weil sehr viele unterschiedliche Interessen und Aspekte in ein Urteil einfließen. So schön einfach wie bei den alten Griechen ist es in modernen Staaten nun mal nicht mehr.
Das Wort Demokratie kommt ebenfalls aus dem Griechischen: Demos ist das Volk , kratia bedeutet Herrschaft . Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Volksherrschaft umzusetzen. Deutschland ist eine repräsentative Demokratie , in der Politiker vom Volk gewählt werden. Sie sollen die Bürger für einige Zeit (meist vier Jahre) vertreten, sprich repräsentieren. Wir stimmen nicht direkt über die einzelnen Gesetze oder Entscheidungen ab, sondern beauftragen andere, das für uns zu tun. Die direkte Demokratie in Form von landesweiten Volksabstimmungen (wie sie zum Beispiel in der Schweiz abgehalten werden) ist im politischen System Deutschlands kaum vorgesehen, jedenfalls für die Bundespolitik (Ausnahme: Bei einer Neugliederung des Bundesgebietes wäre eine Volksabstimmung notwendig). Nur in den einzelnen Bundesländern und Kommunen finden Volksabstimmungen statt, zum Beispiel als Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Dass es bei uns verglichen mit anderen Staaten wenig direkte Demokratie gibt, hat nicht zuletzt historische Gründe. Nach den Erfahrungen der Nazi-Zeit waren die Verfassungsväter dem deutschen Volk gegenüber misstrauisch. Man befürchtete den Einfluss von Populisten, die aus Sachfragen Stimmungsfragen machen. Inzwischen wird aber viel darüber diskutiert, ob es nicht auch deutschlandweit mehr Volksabstimmungen oder Volksentscheide geben sollte.
Größter Nachteil einer repräsentativen Demokratie : Die Volksvertreter können Gesetze verabschieden, die einem nicht passen. Das Volk kann aber während der Legislaturperiode (über die gewählte Zeit hinweg) nicht mehr eingreifen. Und auch wenn ein Volksvertreter nicht einhält, was er versprochen hat, dauert es mindestens vier Jahre, bis man ihn wieder loswerden kann. Aber immerhin kann man ihn wieder loswerden! Anders als in Diktaturen, in denen die Bürger keine Wahl haben, sondern ihre Regierung ertragen müssen. Außer sie haben den Mut zur Revolution, was meistens eine blutige Angelegenheit ist.
Größter Vorteil der repräsentativen Demokratie: Wenn’s gut läuft, hat der gewählte Politiker von den Dingen, die er entscheiden soll, mehr Ahnung als wir Wähler. Zumindest hat er mehr Zeit, sich ausführlich mit Gesetzesvorhaben und anderen politischen Themen zu beschäftigen. Dafür wird er schließlich von uns bezahlt. Außerdem wäre es sehr aufwändig, zu jedem Gesetz eine Volksabstimmung abzuhalten. Zumal manche Gesetze so komplex sind, dass man sie nur schlecht als »Ja«- oder »Nein«-Fragen formulieren kann.
Es gibt weltweit verschiedene Demokratie-Mixe mit unterschiedlich hohem Anteil direkter Demokratie. So wird zum Beispiel der amerikanische Präsident direkt vom Volk gewählt, auch wenn nicht sein Name, sondern der Name seiner Partei auf dem Wahlzettel steht. Der deutsche Kanzler hingegen wird nicht direkt vom Bürger gewählt, sondern von den Abgeordneten im Bundestag. Es gibt keine Kanzlerwahl, sondern nur eine Parlamentswahl. Der Chef der Regierung wird also indirekt gewählt und hat dementsprechend auch nicht ganz so viel Macht wie der amerikanische Präsident. Denn, und das ist der entscheidende Punkt, der Bundeskanzler (beziehungsweise die Kanzlerin, wir benutzen solche Begriffe in diesem Buch geschlechtsneutral) kann jederzeit vom Parlament abgewählt werden, sobald sich dort die Mehrheiten ändern. In einem solchen Fall verliert der Kanzler seine Machtbasis, auch ohne dass vorher noch mal die Bürger um ihre Meinung gebeten werden. Der Bundeskanzler geht aus dem Parlament hervor und ist auch selbst Parlamentsabgeordneter. Manchmal wollen die Kanzler das auch deutlich machen und setzen sich nicht auf die Regierungsbank, sondern ins Plenum, wie die einfachen Abgeordneten. Der amerikanische Präsident hat noch nicht mal einen Stuhl im Parlament. Dafür ist er aber vier Jahre sicher im Amt und kann sich direkt auf den Volkswillen stützen. Er braucht deshalb zum Beispiel auch keine Koalitionspartner, die ihm ständig das Leben schwermachen. Er ist unabhängiger. Aber auch US -Präsidenten müssen mit Einschränkungen leben. Denn es gibt
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