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Karaoke

Titel: Karaoke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Also ließ unser Designer die Seele ruhen und schnitzte mit einem Messer ein kleines Sternchen auf ein Stück Holz, das sollte dann unser Cover sein.
    »Habe ich auch neulich schon mal gesehen, im Lebensmittelladen. Es hieß dort Lebkuchen«, murmelte Jurij, doch da war es schon zu spät.
    Viele Kollegen prophezeiten uns einen Flop mit unserem RussenSoul. »Die westeuropäische Musikwelt ist hochmütig, geldgierig und verschlossen«, erklärten sie uns. Es gäbe da ungeschriebene Gesetze im Showbusiness. »Seit Elvis haben sich die Europäer und die Amerikaner darüber geeinigt, was in der zivilisierten Welt Musik ist und was nicht. Alles, was heute nicht in das gewohnte MTV-Viva-Format passt, muss draußen bleiben, und für die Russen ist kein Platz bei MTV.«
    Trotzdem haben wir diese Nuss des Misstrauens geknackt. Die Platte war ein großer Erfolg. Das einheimische Showbusiness riss sich die letzten Haare vom Kopf, alle Übrigen klatschten in die Hände.
    Von diesem Erfolg beflügelt, gründeten wir eine eigene Plattenfirma, »Russendisko records«, um Deutschland und den Rest der Welt im großen Stil mit der modernen russischen Musik bekannt zu machen. Nur hatten wir keinen eigenen Vertrieb. Wir sprachen mehrere Firmen an,
    die in Deutschland Musik verkaufen. Einige wollten uns nicht, andere wollten uns, aber zu drastischen Bedingungen, und etliche haben gar nicht mitbekommen, dass wir sie ansprachen. Letzten Endes landeten wir beim Buschfunk. Ihr Büro befand sich gleich bei uns um die Ecke zwischen dem ostdeutsch-argentinischen Steak-Restaurant, in dem wir jede Woche speisten, und dem einzigen übrig gebliebenen ZooGeschäft in unserer Gegend, wo ich unser Katzenfutter kaufe. Man konnte also immer das Private mit dem Geschäftlichen verbinden und auf eine Tasse Kaffee beim Vertriebschef vorbeischauen, sich erkundigen, ob und wenn ja, wie sich unsere Platte verkaufte. Der Vertriebschef drückte mir dann jedes Mal die Debitor/Artikel-Statistik in die Hand, eine dicke Mappe, in der aufgelistet war, wer wann und wie viel von unserer Musik bestellt hatte. Links die Läden, rechts die Menge.
    Diese Statistik lese ich seitdem jeden Abend vorm Schlafengehen. Sie liest sich wie ein Beziehungsdrama, das eine verwinkelte Liaison zwischen dem russischen Punkrock und dem deutschen Musikmarkt darstellt. Der aufmerksame Leser findet hier alles — Krieg und Frieden, Kabale und Liebe, Schuld und Sühne. Die Lust auf einen neuen Freund, aber auch große Zweifel: Ist er ein Guter? Oder ein Böser? Saturn Elektro Berlin — dreihundert Stück, Media Markt Jena — ein Stück! Saturn Zwickau — fünfundzwanzig Stück, Media Markt Osnabrück — ein Stück! Ich mache mir nichts vor, natürlich gibt es in Deutschland viele Läden, die unsere Musik nicht nehmen, sich nicht für Russenzeug interessieren, aber solche Läden sind in unserer Statistik gar nicht erst aufgeführt.
    Saturn Elektro Köln — hundert Stück! Also, die Kölner brauchen das hier nicht weiter zu lesen. Stuttgart — ein Stück. Oh, dieses eine Stück, dieser zärtliche, unsichere Griff nach der fremden Musik! Machen die Russen nun Rock 'n' Roll? Dürfen die das überhaupt? Dieses eine bestellte Stück macht mir Hoffnung. Darin sehe ich große Wachstumsmöglichkeiten, da haben wir noch zu tun, in Stuttgart.
    Media Markt Mainz — ein Stück, Media Markt Koblenz — zwei Stück, Media Markt Bad Kreuznach drei Stück! Es geht also voran. Ich stelle mir bildhaft vor, wie unsere Russenmusik sich schleichend durch ganz Deutschland verbreitet, dort das eine Stück, hier das andere, und dann eines Tages plötzlich kommt vielleicht was im Radio.
    Frankfurt — fünfundzwanzig Stück, Darmstadt — ein Stück, Wiesbaden — null Stück. Hallo, Wiesbaden! Meinst du, die Russen wollen Krieg?
     
    Die Kosmonauten
     
    Immer wieder werde ich gefragt, wo ich herkomme. Sind Sie ein Moskauer? Sind Sie aus Russland? Ich muss die Fragenden enttäuschen, denn mit dem heutigen Russland habe ich nichts zu tun. Ich komme nicht aus der russischen Föderation und auch nicht aus der Gemeinschaft der unabhängigen Staaten GUS. Ich habe die ersten dreiundzwanzig Jahre meines Lebens in einem ganz anderen Land verbracht. Über kaum ein anderes wurden so viele Witze, Anekdoten und Grausamkeiten erzählt. Obwohl es die UdSSR seit beinahe fünfzehn Jahren nicht mehr gibt, kann ich meine Landsleute fast immer noch erkennen, besonders gut am Strand oder im Bett: an den charakteristischen

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