Karaoke
Arbeit als DJ.
»Und? Sind bestimmt alles Russen, die zu euch kommen! Die tanzen doch nie!«
»Nein, die meisten bei uns sind Deutsche«, erklärte ich.
Aber in einem Punkt hatte mein Freund Recht. Manchmal haben wir im Burger merkwürdige Gäste. In der letzten Zeit kommen manche Leute zu uns, nicht um zu tanzen, sondern um mich kennen zu lernen, zu fotografieren oder einen Wodka mit mir zu trinken. Diesen Ruhm habe ich wahrscheinlich der Quizsendung mit Günter Jauch zu verdanken, in der ich einmal als Fünftausend-Euro-Frage teilgenommen habe. Viele meiner Freunde aus allen möglichen Ecken Deutschlands erzählten mir anschließend begeistert davon, wobei ihre Berichte immer mit dem gleichen Satz anfingen: »Normalerweise gucke ich mir so was nicht an, aber zufällig war ich zu Hause und hatte die Glotze gerade an.« Die Frage lautete: »Welches Buch hat der Schriftsteller Kaminer geschrieben? A. Tschechenclub, B. Polenbeize, C. Estenkneipe.« Der Kandidat machte von all seinen Jokern Gebrauch, er reduzierte die Anzahl der möglichen Antworten auf zwei, rief noch bei seinem Freund, einem Literaturprofessor, an und tippte letztendlich auf Tschechenclub. Geld spiele für ihn keine Rolle, dabei sein sei alles, sagte er abschließend, um sich selbst zu trösten. Seitdem kommen zu uns in die Russendisko lauter Menschen, die sich anscheinend auf das nächste Quiz vorbereiten.
»Du bist doch dieser Schriftsteller, der den Tschechenclub geschrieben hat? Trinkst du einen Wodka mit mir?«
Sie wissen genau, was bei uns Tschechen besonders gern getrunken wird. Tatsächlich war Wodka in meiner Jugend ein populäres Rauschmittel unter den Kulturschaffenden, aber nur bis 1990. In jenem Jahr kam nämlich der regierende Parteiapparat auf die Idee, im Zuge der weiteren Demokratisierung des Landes ein internationales Rockfestival zu organisieren unter dem Motto »Musiker sagen Nein zu Drogen!« Eingeladen wurden unter anderem Cinderella, Ozzy Osbourne und Mötley Crüe. Eine Woche lang sollten die Gäste aus dem Westen im größten Moskauer Stadion zu den Drogen Nein sagen, obwohl sie selbst schon längst über eine solche Diskussion erhaben waren. Sie brauchten keine Drogen mehr, sie waren selbst welche. Unter den russischen Musikern bekam dieses Festival den Namen »Bienen sagen Nein zum Honig«. Auf russischer Seite nahmen viele vom Wodka geprägte Kollektive am Programm teil. Beide Seiten kamen prima miteinander klar, und das Festival wurde ein großes Fest der Sinne. Ozzy Osbourne war von den russischen Frauen dermaßen begeistert, dass er seine eigene gleich danach zu erdrosseln versuchte. Der Chef der Scorpions, Klaus Meine, schrieb nach diesem Festival das Lied »Wind of Change«:
Ich laufe durch Moskau runter zum Gorki Park, Hier ist eine sehr brüderliche Atmosphäre, Nette Menschen träumen von der großen Zukunft, Ich rieche überall den Wind of Change...
Das Lied wurde im Westen zu einem Riesenhit. Mötley Crüe wollte anschließend überhaupt nicht mehr nach Hause fahren. Die Band legte nach ihrem Moskauer Aufenthalt eine kreative Pause ein, sie tauchte für ein halbes Jahr unter, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Man muss dazu sagen, dass es in Moskau vor diesem Festival relativ wenig Drogen gab. Danach veränderte sich die Situation gewaltig. Die russischen Musiker entdeckten damals jede Menge neuer Möglichkeiten, um ihre schöpferischen Leistungen zu steigern. Sie sahen ein, dass man mit Wodka allein nie zu einem waschechten Ozzy Osbourne aufsteigt. Viel
Zeit ist seitdem vergangen, trotzdem klebt an den Russen der Ruf der Wodkamenschen. Wenn die Leute bei uns im Tschechenclub vorbeischauen und der Musik lauschen, reagieren sie sofort reflexartig: »Du bist doch der Schriftsteller, trink einen Wodka mit mir!« Ich sage höflich »Nein« oder manchmal auch »Ja«. Dann kommen sie aber noch einmal, bis sie nichts mehr sagen können und nur noch vor dem DJ- Pult hin- und herschaukeln. Wir schauen uns nachdenklich in die Augen und wackeln mit dem Kopf.
Es ist anstrengend, ein Tscheche zu sein.
Ende
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