Karas Reich
ein Tor. Es besaß einen Flügel, der nach innen gedrückt war und den Blick nach außen freigab, auf eine Straße und auf die Häuser an der gegenüberliegenden Seite. Ein staubiger Weg führte vor dem Tor vorbei, und als sich Kara in Bewegung setzte, um den Hinterhof zu verlassen, hörte sie ein Geräusch, das sich dem Tor näherte.
Sie blieb stehen. Sie versuchte, das Geräusch einzuordnen. Es kam ihr bekannt vor, dennoch fand sie nicht sofort die Lösung. Dann wußte sie es plötzlich. So hörte es sich an, wenn mit Eisenringen beschlagene Räder über den Boden rollten und diese kratzende Laute erzeugten. Sie ging einen Schritt zur Seite und stellte sich in den toten Winkel. Das beige-sandige Gestein der Mauer spürte sie in ihrem Rücken.
Kara konnte selbst nicht sagen, weshalb sie diese Spannung umklammert hielt. Sie dachte, etwas Wichtiges zu verpassen, wenn sie den schmalen Hof jetzt verließ.
Deshalb blieb sie…
Nicht nur das Rollen war zu hören, auch die Schritte eines Mannes, der das Fahrzeug zog. Kara sah seinen und den Schatten des Fahrzeuges, als er den Hof betrat.
Der Mann keuchte.
Er ging gebückt. Sein Oberkörper war nackt. Muskelstränge zeichneten die Schulterpartien, seine Arme und auch die Beine an den Oberschenkeln und Waden nach. Das Haar lag auf seinem Kopf wie eine flache schwarze Matte. Seine Haut war von der Sonne gebräunt, er trug eine Hose, die ihm bis zu den Waden reichte, und Sandalen. Die wiederum wurden mit Riemen an seinen Beinen gehalten.
Der Mann sah Kara nicht und passierte sie. Mit beiden Händen hielt er den Griffe einer Stange fest, die die Fortsetzung einer Deichsel bildete.
So zog er einen Wagen hinter sich her. Er war beladen, die Wände bestanden aus Stäben, aber von der Ladung konnte Kara nicht viel sehen, weil die durch eine graue Plane verdeckt war.
Kara schaute jetzt auf seinen Rücken, als der Mann den Wagen bis zum anderen Ende des Hofes zog. An ihn schloß sich die Rückwand eines Baus an. Er war höher als die Mauer. Durch eine Tür konnte man Zutritt bekommen. Der Mann war froh, es geschafft zu haben und am Ziel zu sein. Kara hörte ihn stöhnen, sie sah auch, wie er sich mit dem Handrücken den Schweiß vom Gesicht abwischte.
Er schaute nicht zurück, hatte sie demnach noch nicht gesehen, und sie hoffte, daß es auch so bleiben würde. Es interessierte sie schon, welche Ladung sich unter der Plane verbarg, aber der Mann tat ihr nicht den Gefallen, die Decke anzuheben.
Dafür klopfte er viermal gegen die Tür. Wenig später wurde sie aufgezogen.
Kara sah die zweite Person nicht, weil der andere sie mit seinem Körper verdeckte.
Die beiden sprachen nur wenige Worte. Dann trat der zweite zur Seite und gab den Weg frei.
Mann und Wagen verschwanden in der Düsternis eines Baus, aus dem ein Geruch drang, der Kara überhaupt nicht gefiel. Es war das Aroma von Tod und Verderben. Sie spürte einfach den Schrecken, ohne ihn jedoch fassen zu können.
Irgend etwas befand sich in diesem Bau, das einfach nicht als normal angesehen werden konnte.
Die Schöne aus dem Totenreich wartete darauf, daß einer der Männer wieder zurückkehrte. Dann hätte sie ihm die entsprechenden Fragen gestellt. Die blieben verschwunden, womit Karas Neugierde längst nicht gestillt war.
Sie wollte wissen, was hinter der Tür geschah. Auch mußte sie mit jemandem reden, um herauszufinden, in welchem Teil des Landes sie jetzt war.
Hinzu kam, daß sie noch immer über den Geruch nachdachte. Für sie war es der Gestank der Toten. Nach verfaultem Fleisch, nach Moder und alten Maden.
Einfach widerlich…
Kara hatte weder hören noch erkennen können, ob die Tür abgeschlossen worden war. Sie war innerhalb der Hauswand auch kaum zu erkennen, da sie sich von der Farbe her nicht vom Gestein abhob.
Bevor sie auf ihr neues Ziel zuging, schaute sie kurz zurück. Durch das offene Tor auf den Weg. Sie wollte nicht überrascht werden, aber diese Gegend war sehr leer. Nicht einen Menschen bekam die Schöne aus dem Totenreich zu Gesicht.
Sie war beruhigt. Kara gehörte zu den Personen, die es nicht mochten, wenn Zeugen in der Nähe waren, die sie eventuell hätten beobachten können. Sie fühlte sich mehr als Einzelkämpferin und auch als Einzelgängerin. Zudem war sie sehr neugierig, und auch jetzt fragte sie sich, was sie wohl hinter dieser Tür erwarten würde. Sie rechnete nicht damit, daß es eine freudige Überraschung war. Dagegen sprach einfach ihr Gefühl. Niemand beobachtete
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