Karas Reich
sie. Es gab auch keine Fenster oder Luken, hinter denen sich Gesichter gezeigt hätten. Kara kam sich auf diesem Hof sehr allein vor. Trotz des hellen Tageslichts und des seidig-blauen Himmels hatte sie den Eindruck, daß die Nacht bevorstand.
Keine normale Dunkelheit, wie sie den Tag ablöste, es war mehr eine seelische Nacht, eine Finsternis, die ihr die Freude nahm und damit begann, ihr Innerstes zu erfüllen. Sie merkte sehr deutlich, daß Schrecken und Grauen nicht lange auf sich warten ließen, und in ihrem Innern verkrustete allmählich die Seele. Es war nicht gut, und sie blieb zunächst vor der Tür stehen, um das Ohr dagegen zu legen, weil sie lauschen wollte, ob sich etwas dahinter tat. Schreie, Gespräche, andere Geräusche.
Vergebens. Das Holz war sehr dick, es ließ keinen Laut durch. Vielleicht war es dort auch still.
Ein klobiges Stück Holz, vom Anfassen schon glatt geschliffen, diente als Türgriff. Kara stemmte sich gegen die Tür, um sie zu öffnen.
Sie wußte auch, daß sich ihre Gestalt in dem hellen Spalt sehr deutlich abzeichnen würde, aber das mußte sie in Kauf nehmen, wenn sie weiterkommen wollte.
Der Geruch wurde stärker. Es roch nach altem Fleisch, es roch aber auch leicht verbrannt und nach irgendwelchen Essenzen und Ölen, die als Geruchsregulatoren eingesetzt wurden, ohne den anderen Gestank völlig überlagern zu können.
Ein leichter Schweißfilm hatte sich auf ihren Nacken gelegt. Kara zögerte keine Sekunde länger als nötig. Leicht geduckt schob sie sich durch den Spalt.
Sofort schloß sie die Tür wieder hinter sich zu. Sie hatte erwartet, in die Dunkelheit zu treten, was nicht der Fall war. Das Innere dieses Hauses war von einem ungewöhnlich dunklen Licht erfüllt. Öllampen gaben es ab. Sie waren an den verschiedenen Stellen aufgestellt worden, so daß ihr Licht möglichst einen Großteil des Raumes erhellte. Er glich schon einer Halle, aber mit relativ niedriger Decke, die einen hellen Fleck zeigte. Dort befand sich eine Öffnung wie ein Rauchfang, wo auch Tageslicht einfallen konnte.
Kara ging davon aus, daß man sie bisher noch nicht entdeckt hatte.
Jedenfalls war sie nicht angesprochen worden. Man hatte sie auch nicht angegriffen, obwohl sich die beiden Männer nicht weit entfernt aufhielten, denn Kara hörte ihre Stimmen.
Sie unterhielten sich halblaut.
Was sie miteinander sprachen, entzog sich Karas Kenntnis. Es war kein positives Gespräch, denn keiner von ihnen schaffte es, einmal zu lachen.
Sie ging auf die Stimmen zu.
In dem Raum, der schon mehr einer Höhle glich, klangen sie dumpf und zischelnd. Die Öllichter brannten ruhig. Sie gaben einen geheimnisvollen Schein ab und sahen aus, als hätten sie zahlreiche Seelen gefangen, die nun allmählich verbrannten.
Kara bemühte sich, so leise wie möglich aufzutreten. Nur keine unnötigen Geräusche, das war ihre Devise. Noch immer hatte das Moment der Überraschung den meisten Erfolg gebracht, und das würde sich auch hier nicht ändern.
Sie kam näher an die beiden heran. Wo sie waren, zeigte das Licht einen helleren Schein. Dort standen die Lampen dichter beieinander und bildeten eine Gruppe.
Kara erkannte den kleinen Leiterwagen und auch die Umrisse der beiden Männer. Im Licht wirkten sie wie Schattengestalten oder körperlose Seelen, die aus einer Hölle zurückgekehrt waren.
Kara ging davon aus, daß diese Männer ein schreckliches Geheimnis verbargen. Sie konnte nicht genau sagen, um was es sich dabei handelte, aber es gab einfach keine andere Möglichkeit. Und zu diesen Dingen zählte sie auch den Leiterwagen, von dessen Ladung sie bisher nichts gesehen hatte.
Die beiden Männer umstanden ihn. Noch immer flüsterten sie miteinander und hatte keinen Blick für ihre Umgebung. Dies kam Kara sehr gelegen, denn sie wollte so spät wie möglich erst entdeckt werden.
Sie hielt sich auch außerhalb des Lichtscheins und kam sich selbst vor wie huschender Schatten.
Etwa vier Schritte von den beiden Männern entfernt blieb sie stehen. Es geschah deshalb, weil sie hier den Geruch noch intensiver wahrgenommen hatte.
Und wenn sie nicht alles täuschte, quoll er an der Stelle auf, wo auch der Leiterwagen stand.
Kara ging auf Zehenspitzen näher an ihn heran. Die Plane war weggezogen worden, sie hatte freies Blickfeld und glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können, wobei gleichzeitig ihr Herz vereiste.
Sie sah die Fracht.
Menschliche Fracht.
Leichen!
***
Für mich wurden die Steine plötzlich zu
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