Kardinalspoker
auch der Vorsitzende
der SPD-Fraktion auf der gegenüberliegenden Seite des riesigen Sitzungstisches mit
einem Handzeichen signalisiert hatte, seine Fraktion würde dem CDU-Antrag nicht
zustimmen, zog ihn Schlingenheim zurück.
Den daraufhin aufbrausenden Beifall
der Besucher nahm Müller zum Anlass, eindringlich zu mahnen, Beifallsäußerungen
oder Bekundungen des Missfallens tunlichst zu unterlassen. Würde der ordnungsgemäße
Verlauf der Ratssitzung nicht gewährleistet sein, würde er von seinem Hausrecht
Gebrauch machen und den Saal räumen lassen.
Den zornigen
Zwischenruf aus der Menge »Und das nennt man dann Demokratie!« ließ er unkommentiert.
Er hatte genug Mühe, den Rat im Zaum zu halten, da wollte er seine Kraft nicht auf
Nebenkriegsschauplätzen vergeuden. Die Fraktionen ließen ihn oft genug spüren, dass
sie nicht mit ihm einverstanden waren. Lediglich die Uneinigkeit zwischen den vielen
Gruppierungen verhinderte seine Abwahl durch den Stadtrat. Weder CDU noch SPD, weder
die Grünen noch die FDP als die vier großen Parteien im Rat und schon gar nicht
die kleineren Abordnungen wie Unabhängige, KGB oder Rechtspartei wollten in den
Verdacht geraten, den von der Bürgermehrheit gewählten Müller zu kippen, um einen
ihrer Männer oder eine ihrer Frauen an die Spitze des Rathauses zu bringen.
Der Oberbürgermeister reagierte gelassen auf die immer wiederkehrende
Diskussion über seine Abwahl. So lange er für die meisten Bürger ›ne echte Kölsche
für Kölle‹ war, so lange würden die Parteien sich hüten, ihn abzuwählen. Müller
war sich ziemlich sicher, bei einer eventuellen Neuwahl wieder als Sieger hervorzugehen.
Und diese Blamage wollten sich die Parteistrategen nun auch nicht ankreiden lassen.
Müller vermutete richtig. Die Fraktionen
drückten aufs Tempo, um so schnell wie möglich zum vermeintlichen Höhepunkt der
Sitzung zu kommen. Mit jedem Tagesordnungspunkt, den er abhakte, wuchs die Unruhe
bei der KGB und den Besuchern. Wo blieb Kardinal?
Mit allen möglichen Verfahrenstricks
versuchte Jansen, den Sitzungsverlauf zu verzögern. Er beantragte geheime und persönliche
Abstimmungen, bat um Sachvorträge, obwohl diese schon in den vorbereitenden Ausschusssitzungen
vorgetragen worden waren, und scheute auch nicht vor Sitzungsunterbrechungen zurück,
angeblich, um sich intern beraten zu wollen.
Es nutzte nichts, die Beratung über
den KGB-Antrag rückte immer näher. Und immer noch fehlte vom KGB-Führer Kardinal
jede Spur.
Endlich war es so weit. Die Beratung über den KGB-Antrag stand als
letzter Punkt der öffentlichen Sitzung an. Der ältere Verwaltungsmitarbeiter, der
mit blasser Miene in den Sitzungssaal stürmte, verhieß nichts Gutes. Er war von
hinten an den Tisch getreten, an dem der Oberbürgermeister, die stellvertretenden
Bürgermeister und die Dezernenten der Verwaltung saßen, und reichte dem außen sitzenden
Beamten einen Zettel. Das Blatt lief durch viele Hände, bis es endlich bei Müller
ankam. Die Dezernenten hatten derweil begonnen, intensiv zu tuscheln, was Müller
mit einem mahnenden Blick missbilligte.
Auch er las die Information, schluckte
und sprach dann mit betroffener Stimme ins Mikrofon: »Meine Damen und Herren, ich
muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass Ratsherr Kardinal nicht erreichbar ist.
Ich habe versucht, ihn ausfindig zu machen. Aber er ist unauffindbar.« Müller räusperte
sich kurz. »Ich würde gerne die Sitzung für fünf Minuten unterbrechen und die Fraktionsvorsitzenden
beziehungsweise Stellvertreter zu mir bitten.«
Das lautstarke Diskutieren und Lamentieren
unter den Zuhörern hinderte ihn nicht daran, seine Entscheidung durchzuführen. Mit
den Politikern verschwand er kommentarlos hinter der Tür zum kleinen Besprechungszimmer.
Nach wenigen Minuten kehrten sie
zurück. Jansen meldete sich zu Wort, nachdem Müller die Sitzung offiziell wieder
eröffnet hatte. »In Anbetracht der Umstände, also wegen der unerklärlichen Abwesenheit
unseres Fraktionsvorsitzenden, möchte die KGB ihren Antrag vorläufig zurücknehmen
und zu einem späteren Zeitpunkt neu einreichen. Ich bitte um Vertagung. Es wäre
bestimmt nicht im Sinne unseres Fraktionsvorsitzenden Kardinal«, er hüstelte, »wenn
wir heute über seinen Antrag beraten würden.« Er verschwieg, dass er insgeheim froh
war, diesen Antrag nicht begründen und verteidigen zu müssen. Er war dagegen gewesen,
aber er hatte sich nicht getraut, gegen Kardinal zu stimmen. So war der
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