Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
Kapitel 1
Es war eine verhängnisvolle Fehleinschätzung.
Der schwache Mondschein ließ ihn die dunkle Gestalt nur als Schemen wahrnehmen, und er fuhr eine Sekunde zu spät herum, um dem Hieb vollends auszuweichen. Michael Hepburn spürte, wie die Klinge durch seinen feinen Brokatmantel fuhr und der kalte Stahl in seine Haut drang. Schmerz durchfuhr ihn, dennoch gelang es ihm, mit einem Fuß reflexartig nach dem Angreifer zu treten. Er hörte einen dumpfen Aufschlag, als sein Tritt den Gegner traf. Dieser grunzte, stolperte rückwärts und glitt auf dem rutschigen Kopfsteinpflaster aus. Er konnte sich gerade noch fangen und machte sofort wieder einen Satz nach vorne.
Zum Glück war Michael dieses Mal besser vorbereitet.
Er wich nach hinten aus. Der Schwung seines Angreifers brachte ihn Michael nahe genug, dass dieser einen heftigen Schlag mit der rechten Faust platzieren konnte. Es war zu dunkel, um in der Enge der stinkenden Gasse etwas erkennen zu können, weshalb er nicht das Kinn des Mannes traf, sondern die Seite seines Halses. Ein ekliges Geräusch erklang. Michael trat noch einmal nach seinem Gegner und zielte diesmal auf dessen Unterleib.
Ein fairer Kampf kam nur infrage, wenn man es sich leisten konnte, zu verlieren.
Das hatte er während seiner Zeit in Spanien gelernt. Es war ja schön und gut, wenn man einen ehrenvollen Tod starb, aber er blieb lieber am Leben, und in einer verkommenen Londoner Hintergasse überfallen zu werden, war so ziemlich das Hinterhältigste, was er sich vorstellen konnte.
Dem Mann gelang es irgendwie, den Schlag abzuwehren. Das zeigte Michael nur, dass sein Gegner durchaus mit den Gepflogenheiten einer schmutzigen Schlägerei vertraut war und diesen Schlag erwartet hatte. Aber er rutschte auf dem glitschigen Untergrund aus und fiel zu Boden. Das Messer schlitterte ihm aus der Hand, und Michael bückte sich danach. Doch der bullige Angreifer kam krabbelnd wieder auf die Füße und wollte wegrennen. Das Geräusch der sich rasch entfernenden Schritte wurde von Michaels rasselnden Atemzügen übertönt.
Wenn nicht das warme Blut gewesen wäre, das seine Kleidung durchnässte, hätte er sich sogar dem Kerl an die Fersen geheftet, um ihm ein paar Antworten abzuringen.
»Verflucht!«, murmelte er und riss die zerfetzte Jacke auf, um sich den Schaden anzusehen. Das weiße Leinen seines Hemds war bereits tiefrot verfärbt. Wer auch immer dieser Mistkerl war, er hatte Michael ernsthaften Schaden zufügen wollen. Die Klinge war vermutlich an einer Rippe abgerutscht. Obwohl die Wunde heftig blutete, glaubte Michael nicht, dass es so ernst war. Er war in seinem Leben schon oft genug verletzt worden, sodass er wusste, wie sich eine tödliche Wunde anfühlte.
Aber der Zeitpunkt hätte kaum schlechter sein können.
Er zog seine Taschenuhr hervor und kniff die Augen zusammen, um im spärlichen Licht etwas zu erkennen. Es war schon verdammt spät, aber er konnte in diesem Zustand kaum nach Hause gehen. Falls noch jemand wach war und ihm über den Weg lief … nein. Das riesige Stadthaus war voller Verwandter und Gäste.
Zum Glück standen ihm noch andere Möglichkeiten offen.
Er ging ein paar Straßen weiter, wo er in weiser Voraussicht einen Droschkenkutscher dafür bezahlt hatte, auf ihn zu warten. Es hätte wohl zu viel Aufmerksamkeit erregt, wenn er hier in seiner herzoglichen Kutsche aufgetaucht wäre. Hinter den Fenstern der heruntergekommenen Läden und Häuser, auf den schrägen Dächern und unter den tiefen Türstürzen lauerten zu viele finstere Gestalten, deren Interesse das Gefährt geweckt hätte. Als er die Droschke erreichte, fühlte er sich vom Blutverlust etwas schwindelig.
Der Kutscher war ein kleiner Mann mit verkniffenem Gesicht und einem buschigen Bart. Als Michael auftauchte, reagierte er sichtlich beunruhigt. »Hab’s Ihnen doch gesagt, Mann. Gab’s Schwierigkeiten, hm?«
»Hat Ihnen wohl das Blut auf meinem Mantel verraten?«, fragte Michael zynisch. »Die Straßenräuber werden mit jedem Tag dreister.«
Immerhin musste er dem Kutscher zugutehalten, dass er ihn nicht auf den schlechten Ruf des Viertels und die späte Stunde aufmerksam machte.
Ein hübsches Trinkgeld würde ihn hoffentlich davon überzeugen, alles zu vergessen, was er gesehen hatte. Michael nannte ihm die Adresse und kletterte unbeholfen in die quietschende Droschke. Vorsichtig ließ er sich auf dem rissigen Sitz nieder. Die Fahrt war etwas holprig, aber zum Glück dauerte es nicht zu lange,
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