Karlebachs Vermaechtnis
Kuchens runtergespült hatte. Sie sei eigentlich nur die Fahrerin ihrer Tante und habe Opa Bernhard gar nicht gekannt, antwortete sie. Ich erzählte daraufhin ein paar lustige Begebenheiten aus Opa Bernhards Leben, bis sie mich fragte, was ich denn so beruflich mache. Mein Bruder grinste.
»Offiziell studiere ich Theologie«, sagte ich und ergänzte sogleich, als ich ihren kritischen Blick wahrnahm: »Evangelische natürlich.«
»Ah ja«, lautete ihr knapper Kommentar. »Und inoffiziell?«
»Bin ich freier Journalist«, betonte ich vielleicht etwas zu stark.
»Und für wen schreiben Sie?«
»Für verschiedene Zeitungen. Meistens für die Lokalpost.« Aber auch der Spiegel und die Zeit hätten schon Sachen von mir gedruckt, fügte ich vielleicht etwas zu beiläufig hinzu.
»Das ist ja interessant. Was denn so?«
»Nun ja«, versuchte ich etwas Zeit zu gewinnen und nestelte an dem schwarzen Schlips, den ich mir von meinem Vater geliehen hatte.
»Leserbriefe«, antwortete mein Bruder, ehe ich etwas sagen konnte.
Ihr Interesse an mir schien so schnell erloschen wie entfacht. Ich trat meinem Bruder unter dem Tisch gegen das Schienbein und beobachtete mit Genugtuung, wie sich sein Grinsen mit einem Ausdruck des Schmerzes vermischte. Die Rettung aus der peinlichen Situation nahte in Gestalt des Oberkirchenrats Knecht, der mich an den Tisch der Honoratioren bat. Wann ich denn gedenke, mich zum Examen anzumelden, wollte er wissen, nachdem ich die Damen und Herren begrüßt hatte. Ich umging die Antwort, indem ich mir einen Kaffee einschenkte. »Wie viele Semester studierst du inzwischen eigentlich?«, hakte Pfarrerin Nolte-Merkel nach.
Seit wir vor einigen Jahren gemeinsam Hebräisch gelernt hatten, konnte ich sie nicht leiden. Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu und entgegnete: »Frage nie einen Studenten nach der Zahl seiner Semester und eine Frau nach ihrem Alter!«, denn ich wusste, dass sie darunter litt, wesentlich älter auszusehen als sie in Wirklichkeit war. Sie zog ihre spitze Nase hoch und war still. Allerdings griff jetzt Pietsch das Thema auf und klagte darüber, welch hohe Kosten die Langzeitstudenten doch dem Staat verursachen. »Studiengebühren brauchen wir«, forderte er mit Nachdruck und suchte in der Runde nach Unterstützung, die ihm wie immer von seiner Frau gewährt wurde.
Chefredakteur Stumpf ergriff dann Partei für mich und betonte, wie froh er sei, einen solch fähigen und zuverlässigen freien Mitarbeiter zu haben.
»Und billig ist er auch noch«, grummelte ich etwas säuerlich, auch wenn ich inzwischen die oberste Stufe in der Hierarchie der freien Mitarbeiter erklommen hatte und die Zeile schon mit sechzig Pfennig honoriert bekam. »Zunächst muss ich die Theodizeefrage für mich klären«, sagte ich mit Bestimmtheit, »dann seh ich mal weiter.«
Was das denn sei: Theodizee, ob man davon auch satt werden könne, fragte Fabrikant Frick und wieherte los, weil er glaubte, einen Witz gemacht zu haben. Außer Pietsch und seiner Frau, die immer lachte, wenn ihr Mann lachte, stimmte niemand in das Gelächter ein.
Während Oberkirchenrat Knecht nun damit begann, weitschweifig über die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids in der Welt und über die Herkunft des Bösen zu dozieren und mit besorgtem Gesichtsausdruck die Ratlosigkeit der Theologen und Philosophen eingestand, nahm ich in den Augenwinkeln wahr, dass sich die dunkelhaarige Schönheit angeregt mit meinem Bruder unterhielt. Ich ärgerte mich und meine Laune besserte sich erst, als mir mein Kumpel Andi beim Aufbruch zuraunte: »Heute um Mitternacht bei uns im Keller.«
Den Heimweg von der Nachfeier unterbrachen mein Bruder und ich in der Dorfwirtschaft.
»Schau mal, was ich hier habe«, sagte er beim dritten Pils. »Eine Visitenkarte. Na und?«
»Guck doch mal genauer hin!«
Ich griff etwas gelangweilt nach der Karte und betrachtete sie. »Simona Zorbas, Historikerin«, las ich halblaut. Unter dem Namen war die Adresse des städtischen Heimatmuseums gedruckt. Ich zuckte mit den Achseln. »Dreh doch die Karte mal um«, drängte mein Bruder ungeduldig.
In mir keimte ein Verdacht. Auf der Rückseite stand die Privatadresse von Simona Zorbas, Telefonnummer inklusive, handschriftlich. Mein Bruder triumphierte.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich, halb neidisch, halb anerkennend. »Wie hast du das denn geschafft?«
»Mit dem, was du nicht hast: Charme.«
Ich versuchte wieder, ihm einen Tritt zu versetzen, traf aber
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