Karlebachs Vermaechtnis
gelingen wollte, steckte er sie in die Jackentasche. »Die Schlägertruppe um Pietsch hat in der Silvesternacht deinen Wagen geknackt und gegen die Mauer rollen lassen. Das ist sicher. Röther hat auf deinen Hund geschossen, die Nazibrüder wollten uns in der Kneipe verprügeln. Sie haben Onkel Kurt und Onkel Alfred eingeschüchtert. Onkel Alfred ist wenig später, am Tag deines Abflugs, an einem Herzanfall gestorben. Eines ist klar: Jemand will verhindern, dass du das Geschehen beim Judenhaus ans Tageslicht bringst. Aber wer ist der Auftraggeber?«
»Pietsch«, sagte ich, »Heilig oder Knecht. Frick schwebt über den Dingen. Er ist für uns unerreichbar.«
»Pietsch leuchtet mir ein«, sagte Helmut, »Heilig auch, der hat den Eintrag ins Grundbuch gefälscht. Aber wieso Knecht?«
»Pass auf!«, sagte ich. Wir hatten den Wagen erreicht, und ich holte eine Kassette aus meinem Rucksack. »Die hat Alfons übersehen«, sagte ich, während ich sie in den Recorder einlegte. »Hier habe ich das Gespräch mit Karlebach vom vergangenen Freitag aufgezeichnet.« Helmut startete den Recorder. Zunächst war nur Rauschen zu hören, dann lautes Vogelgezwitscher. »Habt ihr euch im Zoo getroffen?«, fragte Helmut. Die Vögel sangen und pfiffen munter weiter. Ich drückte nervös die Vorlauftaste. Plötzlich erklang Leas Stimme, dann sprach Karlebach. Erleichtert lehnte ich mich zurück.
»Ich will Sie nun nicht länger auf die Folter spannen«, begann Karlebach. »Bernhard hatte mir im Herbst 1973 mitgeteilt, dass der Gemeinderat das Judenhaus abreißen wollte. Auf dem Grundstück sollte ein repräsentatives Bürogebäude für Frick entstehen. Das Grundstück und das Haus hatten Anfang des Jahrhunderts die Rosenthals gekauft. Dann regierten die Nazis und enteigneten das Land, Grundstück und Haus wurden der Gemeinde überschrieben. Als einziger Nachkomme unserer Sippe war jedoch ich nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland der rechtmäßige Besitzer. Zumindest hatte ich das Recht auf eine ordentliche Entschädigung. Also flog ich im Dezember 1973, wenige Tage vor Weihnachten, nach Deutschland, obwohl ich mir geschworen hatte, das Land nie wieder zu betreten. Es ging mir nicht um das Haus oder das Grundstück. Es ging mir um Geld. Ich wollte mein Recht und beim Verkauf eine ordentliche Summe herausschlagen.« Karlebach machte eine kurze Pause und sagte dann: »Was schaust du mich so an? Mich interessierte das Geld, nichts weiter. Ich war Geschäftsmann, ich konnte mir keine Sentimentalitäten leisten.« Ester Lewins Entgegnung war nicht zu verstehen.
»Ich hatte zuvor mit einem Juristen aus meiner Firma den Antrag auf Rückgabe des Grundstücks und des Hauses formuliert und wandte mich damit an die zuständige Behörde. Ich war nicht wenig überrascht, als ich plötzlich mit Bernhards Sohn zu tun hatte. Er hatte überhaupt nichts von seinem Vater, keine Wärme, keine Güte. Er behandelte mich herablassend und mit einer unerträglichen Arroganz. Damals lebte er noch mit seiner jungen Frau und den beiden Töchtern im Haus seines Vaters, aber als ich Bernhard besuchte und wir uns begegneten, wechselte er kein Wort mit mir.
Nun, ich will mich kurzfassen. Über Nacht tauchten plötzlich Dokumente auf, aus denen klar ersichtlich war, dass die Rosenthals das Grundstück mit dem Haus nicht gekauft, sondern nur gepachtet hatten. Und zwar von der Familie Knecht.«
»Von Knecht?«, hörte ich meinen erstaunten Ausruf. »Ja«, berichtete Karlebach. »Alles gehörte auf einmal den Knechts. Sie sind eine alteingesessene Familie, das wissen Sie. Die Knechts waren Großbauern, sie besaßen viele Ländereien und Grundstücke. Vielleicht hatte ihnen das Grundstück mit dem Judenhaus wirklich einmal gehört - ich vermute es stark - und die Rosenthals hatten es ihnen abgekauft. Aber ich konnte ihnen den Kauf des Grundstücks nicht beweisen, weil alle Unterlagen der Rosenthals vernichtet waren. Mein Anwalt riet mir von einem jahrelangen und ungewissen Rechtsstreit ab und empfahl mir, mich mit den Knechts gütlich zu einigen. Aber die ließen nicht mit sich reden. Mein Verhandlungspartner war damals Hans-Dieter Knecht, ein evangelischer Pfarrer. Wir Juden sollten froh sein, dass wir jetzt unseren eigenen Staat hätten und endlich zufrieden sein, sagte er einmal. Wir hätten kein Recht mehr, im Ausland irgendwelche Forderungen zu stellen.«
»So ein Schwein!« rief Lea dazwischen. »Ich suchte daraufhin Bürgermeister Pietsch auf. Es
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