Karlebachs Vermaechtnis
Gesichter von Pietsch und seinen Schergen aus, die bestimmt mehrmals jeden Zentimeter des Grundstücks umgepflügt hatten. Jetzt musste ich nur noch die gröbsten Spuren beseitigen, dann konnte ich Merklinghausen und Deutschland verlassen.
Plötzlich«, erzählte Karlebach weiter, »leuchtete mir jemand mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Ich war unvorsichtig geworden und hatte nicht bemerkt, dass ich schon seit längerer Zeit beobachtet wurde. Was auf meinem Grundstück gefunden wird, gehört mir, sagte unvermittelt eine hämische Stimme. Ich wollte laut schreien, doch dann hielt mir jemand von hinten den Mund zu. Ich verlor das Bewusstsein. Am nächsten Morgen wurde ich in dem Gässchen vor der Kneipe gefunden. Die Verbrecher hatten mich erst mit Chloroform betäubt und mir dann Schnaps eingeflößt. Sie haben mich so betrunken gemacht, dass mir im Krankenhaus der Magen ausgepumpt werden musste. Ich sei dem Tod noch mal von der Schaufel gesprungen, sagte der Arzt. Es war perfekt: Einem Juden, der besoffen in der Gosse aufgefunden wird, glaubt man nicht, dass er überfallen und beraubt wurde.«
»Sind Sie denn nicht zur Polizei gegangen?« fragte Lea. »Doch. Aber wie gesagt, man glaubte mir nicht. Die Beamten hielten mich für verrückt und wollten mich wegen eines vorsätzlichen Vollrausches und Erregung öffentlichen Ärgernisses belangen. Und von den Dorfbewohnern konnte ich keine Unterstützung erwarten.«
»Und von Opa Bernhard?«, hörte ich mich fragen. Karlebach schwieg eine Weile. »Bernhard wusste, was geschehen war und wer die Täter waren. Und er wusste, dass ich seinen Sohn erkannt hatte. Er war hilflos, unendlich traurig, das spürte ich. Aber diesmal konnte ich keine Hilfe von ihm erwarten. Die Freundschaft zwischen uns war zerbrochen. Die Liebe zu seinem Sohn, auch wenn er ein Verbrechen begangen hatte, war größer. Es war Vaterliebe, die Opa Bernhard schweigen ließ …«
»Die Liebe zu einem missratenen, scheinheiligen Verbrecher!«
»Ich habe nie einen Sohn gehabt. Ich weiß nicht, wozu Vaterliebe fähig sein kann.«
»Woran hatten Sie Heilig erkannt?«
»Er war es, der mir den Mund zugehalten und mich betäubt hatte. Ich habe im Licht der Taschenlampe seine Uhr blitzen sehen.«
»Der andere war Oberkirchenrat Knecht?«
Die Antwort ging in einem lauten Krachen unter. Dann brach die Aufnahme ab.
»Der andere war Knecht?«, fragte Helmut nach langem Schweigen. Er trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Ich nickte. »Die beiden Männer aus Merklinghausen, die Opa Bernhard auf seinem Zettel erwähnt hat, sind sein Sohn Heilig und Oberkirchenrat Hans-Dieter Knecht. Heilig ist ja erst später ins Nachbardorf gezogen. Das haben wir nicht beachtet.«
»Und Pietsch? Hat er mit der Sache gar nichts zu tun?«
»Er war Mitwisser«, antwortete ich. »Mehr nicht. Aber diese Mitwisserschaft hat er sich gut bezahlen lassen.«
»Ohne die Fotos haben wir nichts gegen ihn in der Hand?«
»Nein«, sagte ich resigniert. »Pietsch behält seine weiße Weste und wird wieder gewählt. Wir können ihm nicht nachweisen, dass die Perlenketten, die ich bei Simona Zorbas und seiner Frau gesehen habe, eigentlich Karlebach gehören. Und als Straftat ist die Geschichte längst verjährt.« Helmut startete den Motor. »Vielleicht schaffen wir es doch noch!« sagte er entschieden. »Wie spät ist es?«
»Gleich sieben.«
»In einer halben Stunde sind wir in der Stadt. Das packen wir! Das wird unsere Geschichte!«
33
Am nächsten Nachmittag hatten Helmut und ich für drei Uhr einen Termin bei Stumpf bekommen. Wir tippelten in seinem Vorzimmer auf und ab. Der Chef ließ uns warten. Ich war inzwischen seit fast dreißig Stunden auf den Beinen und fühlte mich hundeelend. »Du siehst ja gut aus«, begrüßte mich Stumpf. »Alter Urlauber! Braun gebrannt! So gut möchte ich es auch mal haben. Herumreisen und ab und zu eine Geschichte schreiben. Das ist ein Leben!«
Ich war zu schwach, um Einspruch zu erheben. »Nun, was ist mit der Geschichte von dem Judenhaus? Haben wir den großen Skandal? Wandert Pietsch in den Knast?« Er rieb sich die Hände. »Wir müssen unbedingt die Auflage erhöhen.«
»Eine Straftat können wir Pietsch nicht nachweisen«, sagte Helmut. »Aber wir können ihn moralisch diskreditieren. Er ist Mitwisser eines Verbrechens, das vor über zwanzig Jahren geschehen ist. Er hat sich persönlich daran bereichert. Hier sind die Beweise.«
Stumpf überflog den Entwurf für unseren Artikel.
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