Karlebachs Vermaechtnis
Dann sah er sich einen Stapel mit Faxpapieren an, den wir ihm vorgelegt hatten.
»Was soll das? Damit kann ich nichts anfangen.«
»Auf den Faxen sind Fotos abgebildet, die ein Verwandter von Karlebach vor über 50 Jahren gemacht hat«, sagte Helmut. »Sie zeigen den Schmuck, den der Juwelier Karlebach beim Judenhaus vergraben hat, um ihn vor den Nazis zu retten. Besonders wertvoll sind diese Perlenketten, von denen nur drei Exemplare angefertigt wurden.« Helmut deutete auf ein Blatt, das ein schlangenähnliches Gebilde mit unterschiedlichen Grauschattierungen zeigte. »Zwei dieser Ketten haben wir im Original fotografiert. Die eine gehört Frau Pietsch, die andere dieser Simona Zorbas, einer Geliebten von Pietsch. Wo sich die Dritte befindet, wissen wir nicht. Vermutlich bei Knechts Frau.«
»Auf dem Fax kann ich nichts erkennen«, murmelte Stumpf. »Es tut mir Leid.«
Helmut reichte ihm die beiden Fotos. »Wann sind die Bilder geknipst worden?«, fragte Stumpf. »Die Kette von der Zorbas habe ich heute Nacht fotografiert, die von der Pietsch heute Mittag,« sagte ich stolz. »Es war ein hartes Stück Arbeit.«
»Aber was soll dieser Stapel Faxpapiere, auf denen man nichts erkennen kann?«, fragte Stumpf. »Die Originalfotos mit dem Schmuck sind mir in Jerusalem gestohlen worden. Ein gewisser Alfons Stäuble hat mich betäubt und die Bilder geraubt. Und jetzt dürfen Sie raten, wer sein Auftraggeber war.«
Stumpf schaute ziemlich dämlich und sagte nichts. »Genau!«, triumphierte ich, »Pietsch!«
»Woher willst du das wissen?«
»Meine arabischen und jüdischen Freunde haben diesen netten Herrn in die Mangel genommen. Araber und Israelis sind mit ihren Methoden nicht zimperlich. Heute früh um fünf hatten sie ihn weich gekocht und ich habe mit ihm telefoniert. Von der Redaktion aus. Das Gespräch habe ich zum Beweis aufgezeichnet. Die Fotos müssten per Luftexpress morgen Mittag hier sein. Das heißt, Samstag kann der Artikel erscheinen. Eine Vorabmeldung für die Agenturen können wir schon am Freitagabend rausschicken.«
»Moment mal«, sagte Stumpf. »Das geht mir zu schnell.«
»Pietsch hat einen Maulwurf in unserer Redaktion«, legte ich nach. »Pietsch war über alle meine Schritte informiert. Als ich vergangene Woche per Fax gemeldet hatte, dass ich vermutlich am Freitag die alles entscheidenden Beweise bekomme, konnte er mit dem nächsten Flieger diesen Stäuble nach Israel schicken. Getarnt als harmlosen, vertrottelten Touristen, der meine Gutmütigkeit ausnutzen und mein Vertrauen erwerben sollte.«
»Jetzt geht deine Phantasie mit dir durch«, tadelte mich Stumpf. »Ein guter Journalist orientiert sich stets an den Fakten und prüft sie auf ihre Plausibilität.«
»Herr Stumpf«, sagte ich verständnisvoll, »stellen Sie sich einen erfolgreichen Herrn mittleren Alters vor, der sich seit seiner Scheidung manchmal einsam fühlt. Die langen, dunklen Winterabende … Und plötzlich wird er von einer schönen Frau umgarnt. Glauben Sie nicht, dass der hin und wieder etwas mehr redet als notwendig? Natürlich ohne böse Absicht. Er will nur alles tun, damit die schöne Frau, die von vielen Männern begehrt wird, eine Weile bei ihm bleibt und etwas Abwechslung in sein Leben bringt.« Stumpf war aschfahl hinter seinem Schreibtisch zusammengesunken. »Was erzählst du für einen Unsinn«, stammelte er. »Das gehört hier nicht hin.« Dann verbarg er seinen Kopf hinter den Händen.
»Herr Stumpf«, sagte ich betont seelsorgerlich, »Simona Zorbas hat nicht nur Sie reingelegt. Pietsch und ich sind ebenfalls ihre Opfer. Und welches Spiel sie mit Amacker treibt, wird sich noch herausstellen.«
»Meine Herren …« Stumpf hüstelte und rang nach Worten. »Sie haben der Zorbas … Und die ist mit jeder Neuigkeit zu Pietsch gelaufen. Der Weg ist ja nicht weit. Frau Pietsch ist momentan gar nicht gut auf ihren Mann zu sprechen.«
»Helmut, Ulrich, ich bitte euch …«
»Die Zorbas wollte nicht als Abteilungsleiterin für Industriegeschichte im städtischen Heimatmuseum enden. Sie wollte mehr. Sie wollte ins Ministerium. Pietsch durfte die Wahl nicht verlieren. Er musste gewinnen. Um jeden Preis.«
»Bitte … Dieses Gespräch muss unter uns bleiben. Der Artikel wird am Samstag im Blatt erscheinen, dafür bürge ich.« Helmut und ich hatten gerade Stumpfs Vorzimmer verlassen, als mich der Chef noch einmal zurückrief. »Bitte nimm Platz«, sagte er überfreundlich. »Du siehst müde aus. Soll ich dir
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