Kastell der Wölfe
der sich lange in der freien Natur aufgehalten hatte.
Der Kloß war aus Archies Hals verschwunden. Es ging ihm wieder besser. Zumindest konnte er jetzt tief und normal durchatmen. Jetzt ging es einzig und allein darum, mit dem Besucher zu sprechen. Nichts anderes wünschte sich Archie.
»He, kannst du reden?«, fragte er.
»Ha...?«
Archie wiederholte seine Worte. »Kannst du sprechen? Kannst du mich verstehen?«
»Ha?« Mehr sagte der Andere nicht, aber seine Blicke blieben nach wie vor nach oben gerichtet. Sie kamen Archie suchend vor, vielleicht auch bittend. Der Junge schien sich mit seinem Schicksal nicht abgefunden zu haben. Er öffnete den Mund jetzt so weit wie möglich, und Archie rechnete damit, dass er ihm etwas sagen würde, aber es verließen nur unartikulierte Laute seine Kehle.
»Du kannst nicht sprechen, wie?«, stellte der Junge fest.
Gurgeln. Ein Versuch einer Antwort. Mehr bekam das Wesen nicht heraus. Archie verstand die Welt nicht mehr. Er wusste nicht, was er mit seinem Besucher noch hätte anstellen sollen, um ihn zu einer Antwort zu bewegen.
Da der unbekannte Junge bei seinen Sprechversuchen den Mund bewegt hatte, der zudem offen stand, war Archie der Aufbau seines Gebisses nicht entgangen. Ihm fielen die hellen und sehr kräftigen Zähne auf, die seitlich besonders gut entwickelt waren, und der gesamte Kiefer stand ein wenig vor, anders als bei einem normalen Menschen.
Wie kam das?
Noch immer spürte Archie keine Angst. Bei ihm war es die Neugierde, die einfach nicht weichen wollte. Je länger er sich bei dem Jungen aufhielt, umso stärker wurde sie, und schließlich drückte sie sogar seine letzte Scheu beiseite.
Er streckte seinem Besucher die Hand entgegen. Langsam und zögernd. Angst sollte der Besucher ja nicht bekommen. Archie wollte ihm schließlich nichts tun, er wollte nur sein Vertrauen gewinnen. Das war ihm sehr, sehr wichtig. Deshalb blieb auch sein Lächeln bestehen.
Er schaute in die Augen des Besuchers. Bisher hatte er sie kaum beachtet, nun fiel ihm auf, dass sie von einer sehr hellen und fast kalten Farbe waren. Bei einem Menschen hatte er derartige Augen noch nie gesehen.
Darunter wuchs eine kleine, aber breite Nase. Hinzu kam der vorgeschobene Kiefer, der kräftige Hals, die relativ dunkle Haut. Das alles kam zusammen, und Archie wunderte sich darüber, dass ein Mensch so aussah – irgendwie doch anders als ein Mensch.
Archies Hand deutete noch immer in die Tiefe. Er streckte dem Wesen die Finger entgegen und bewegte sie leicht, um ein Zeichen zu geben. Das war ein Fehler.
Sein Besucher – das Kind? – erschreckte sich. Aus dem offenen Mund drang ein Krächzlaut, gefolgt von einem Sprung zurück, über ein Meter aus dem Stand. In einer für ihn günstigen Entfernung blieb der Besucher hocken und beobachtete, wie der Junge seinen Arm wieder zurückzog.
Archie gab nicht auf. »Willst du nicht?«, flüsterte er.
Kein Antwort.«
»He, ich tue dir doch nichts. Ich will mich nur mit dir unterhalten. Aber du kannst nicht sprechen - oder?«
Der Besucher hörte zu. Es war für Archie genau zu sehen. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er seine Ohren in die Höhe gestellt hätte, um noch intensiver lauschen zu können.
Doch das passierte nicht. Der fremde Junge verharrte in seiner lauernden und sprungbereiten Haltung, als wollte er im nächsten Moment auf das offene Fenster zuhechten.
Nichts passierte.
Die Zeit verrann.
Keiner rührte sich.
Archie hatte den nächsten Kloß aus seiner Kehle vertreiben können. Er versuchte es erneut.
»Bitte, ich tue dir wirklich nichts«, versicherte er. »Ich will nur wissen, wo du herkommst. Kannst du mir das klar machen?«
Der fremde Junge schüttelte den Kopf. Möglicherweise sogar bedauernd, so genau war es nicht zu erkennen. Für Archie stand fest, dass er ebenfalls einen Kontakt gesucht hatte, aber noch nicht so weit war, um ihn auch richtig genießen zu können.
Das Kopfschütteln war so etwas wie ein Abschiedsgruß, denn im nächsten Moment drehte sich der Besucher auf der Stelle. Er tat es recht langsam. Danach aber wurde er schnell. Er rannte nicht aufrecht, sondern hüpfte weiterhin auf allen vieren durch den Garten auf die Hecke am anderen Ende zu.
Archie richtete sich wieder auf. Er lächelte. Irgendwo hatte er das Gefühl, dass der seltsame Junge gekommen war, weil er Hilfe benötigte und sich dann nicht getraut hatte, dies auszusprechen oder sich anderweitig bemerkbar zu machen.
Das war schon mehr als
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