Katharsia (German Edition)
sagte er steif. Seine Stimme, diesmal ohne technische Verstärkung, klang rau.
„Keine Ursache, Herr Flugrat“, wehrte Stadlmeyr mit nahezu unterwürfiger Höflichkeit die Entschuldigung des Engels ab. „Ich befürchte, wir haben Sie mit dieser harmlosen Echse ebenso erschreckt.“
„Harmlos? Ich hatte eher den Eindruck, Sie konnten das Tier kaum bändigen“, erwiderte der Engel ungehalten.
„Aber nein, das täuscht, Herr Flugrat!“, verteidigte sich Stadlmeyr und legte feierlich die Hand aufs Herz. „Josi hat noch nie jemandem was zuleide getan.“
„Ihre Papiere bitte!“
„Selbstverständlich, Herr Flugrat.“
Der geflügelte Kämpfer nahm den Pass und steckte ihn in ein Lesegerät, das an seiner Ausrüstung hing. Eine Sekunde später kam die Karte wieder heraus. Offensichtlich war der Pass in Ordnung, denn der Gepanzerte gab ihn Stadlmeyr zurück.
„Wonach suchen Sie denn, wenn ich fragen darf?“
„Sie dürfen nicht!“, wies ihn der Engel schroff ab. „Die Papiere des Jungen bitte!“
„Er hat keine Papiere, der Bub. Ist eben erst angekommen in Katharsia.“
„Das kann nicht sein, dann wäre jetzt der zuständige Beamte bei ihm.“
„Sie haben ganz Recht, Herr Flugrat, aber es muss was schiefgelaufen sein. Ich hab den Bub gefunden und er war fast verdurstet.“
„Warum haben Sie die Behörde nicht sofort verständigt?“
„Ich hab kein Telefon hier. Es liegt leider zu Hause, Herr Flugrat. Ich hab’s vergessen.“
Der Engel sprach etwas in sein Helmmikrofon und erst jetzt wurde Sando bewusst, dass sich der Kämpfer und Stadlmeyr einer Sprache bedienten, die er noch nie gehört hatte. Dennoch erschien sie ihm so vertraut wie seine Muttersprache. Mühelos hatte er dem Gespräch der beiden folgen können.
Doch noch ehe er über diesen erstaunlichen Sachverhalt nachdenken konnte, wandte sich der Engel an ihn.
„Wann bist du angekommen?“
Sando hörte sich in der unbekannten Sprache antworten: „Ich weiß nicht genau, wie lange ich schon da gelegen habe …“
Er lauschte seinen Worten nach.
Die Verwunderung, die in seinem Tonfall lag, war dem Engel nicht entgangen. Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen, als er sagte: „Es ist Katharsisch. Wer hier ankommt, der beherrscht es.“
Mit dieser knappen Auskunft war für ihn das Thema erledigt und Sando wagte nicht zu fragen, wie man eine Sprache beherrschen konnte, ohne sie je erlernt zu haben.
Der Engel setzte nun sein Verhör mit Stadlmeyr fort. „Wann haben Sie den Jungen gefunden?“
„Vor zwei, drei Stunden, Herr Flugrat. Die Echse ist nicht sehr geschwind, sonst hätte ich den Buben längst abgeliefert.“
„Sie wollen doch nicht etwa mit diesem Monster nach Makala?“
„Ich bitte Sie, Herr Flugrat, nennen Sie meine Josi nicht Monster . Sie ist ganz lieb.“
„Haben Sie eine Lizenz, die Sie berechtigt, ein so großes und gefährliches Tier zu halten?“
„Selbstverständlich, Herr Flugrat.“ Stadlmeyr ging zu der reich verzierten Truhe im Pavillon und griff nach dem schlangenförmigen Riegel.
„Halt!“, rief der Engel und richtete seine Waffe auf ihn. „Heben Sie die Hände und treten Sie von der Truhe zurück!“
„Ich wollte doch nur die Lizenz holen“, sagte der Wiener, kam aber eiligst der Aufforderung nach.
„Das werden wir ja sehen“, erwiderte der Engel kalt. „Und der Junge stellt sich mit erhobenen Händen neben Sie!“ Sando starrte in die schwarzen Augen der geflügelten Kampfmaschine und ging langsam zu seinem Reisebegleiter hinüber. Sein mulmiges Gefühl angesichts der drohenden Waffe verstärkte sich.
„Was trägst du an der Halskette?“
Sando glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Er trug das Hemd geschlossen. Weder Kette noch Medaillon waren zu sehen. Aber der Engel meinte eindeutig ihn.
„Wie bitte?“, fragte er verwirrt.
„Du weißt sehr gut, was ich meine.“
Sando öffnete das Hemd und holte den Schmuck heraus. „Es ist nur das Bildnis einer Frau mit Kind.“
Der Engel näherte sich dem Jungen ein wenig, warf einen Blick auf das Medaillon und sagte knapp: „In Ordnung!“ Dann wandte er sich wieder der Truhe zu. Sando beobachtete, wie er mit äußerster Vorsicht herantrat, den schlangenförmigen Riegel beiseite schob und sie langsam öffnete. Als er merkte, dass nichts geschah, begann er, darin herumzukramen.
„Das dürfen Sie aber nicht!“, protestierte Franz mit nicht allzu fester Stimme. „Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“
Der Engel
Weitere Kostenlose Bücher